June 2008, Heike Hoffmann
Portrait (de)

Heiner Goebbels

"Schwarz auf Weiss", "Landschaft mit entfernten Verwandten"– schon die Titel seiner Werke verweisen auf eine ausgeprägte Affinität zum Visuellen. In der Tat ist Heiner Goebbels nicht ein Komponist, der sich ausschließlich über den Notentext definiert, er ist auch und vor allem ein Theatermacher – Autor, Regisseur, Autor, Dramaturg, Musiker und Produzent. Seine multimedialen Konzepte sprengen sowohl den tradierten Rahmen der Konzertmusik als auch den des herkömmlichen Theaters, er setzt Raum und Licht, Wort und Bewegung, ebenso selbstverständlich und virtuos ein wie Instrumente und Stimmen, erfundenes oder gefundenes Material, um seine musikalisch-theatralen Konzepte zu realisieren. Einen "Zapper" hat der Schauspieler André Wilms ihn einmal genannt, und in der Tat nimmt Heiner Goebbels sich aus der Musik- und Literaturgeschichte, was er braucht, benutzt die Tradition gewissermaßen als einen Steinbruch für die eigene Arbeit. So verstanden, ist er doch ein Komponist im genuinen Sinn des Wortes: er fügt disparate Elemente zu einem sinnlich und ästhetisch oft faszinierendem, oft überraschend Neuen, das seine Herkunft nicht verleugnet, immer aber den Filter genauester Beobachtung und kreativer Phantasie passiert hat. Dass er sich damit oft zwischen alle Stühle setzt, liegt in der Natur der Sache, zu hermetisch und ideologieverhaftet war lange Zeit die am Materialbegriff orientierte Szene der Neuen Musik in Deutschland. Lange Zeit wurde er eher im Theater- als im Musikbereichbereich wahrgenommen, doch mit dem Verschwinden ästhetischer Dogmen werden auch die Grenzen zwischen den Genres zunehmend fließend und seine synästhethischen Konzepte haben ihre Orte und ihr Publikum gefunden. Begonnen hat es in den turbulenten siebziger Jahren in Frankfurt am Main, wo er Soziologie studierte und mit einer Diplomarbeit über den musikalischen Materialbegriff bei Hanns Eisler abschloss. Eisler und seine dialektische Haltung zu Musik und Politik werden für Goebbels zu einem Schlüsselerlebnis; er beginnt Musik zu studieren und gründet das Sogenannte Linksradikale Blasorchester, eine legendäre Vereinigung aus professionellen und Laienmusikern, die sich lautstark und kreativ in die Auseinandersetzungen zwischen alternativer Szene und politischem und kulturellem Establishment einmischte. Zweifellos ist damals die Keimzelle für Goebbels spätere ästhetische Konzeptionen gelegt worden: der gesellschaftskritische Impetus, die Vorlieben für Collage, Montage und Zitate, die Furchtlosigkeit gegenüber Trivialem und Populärem, und natürlich der theatralische Gestus, der heute für seine Arbeit so charakteristisch ist. Lange Zeit bewegt er sich im Grenzbereich von Komposition und Improvisation, im Duo mit dem Saxophonisten Alfred Harth werden selbst Kompositionen von Eisler einer radikalen Free-Jazz-Kur unterzogen. Anfang der 80er Jahre, mit Gründung der experimentellen Rockgruppe Cassiber, wird sein Komponieren komplexer, auch durch den Einsatz von radiophonen und szenischen Elementen. 1979 holt der Brecht-Schüler Peter Palitzsch, der eine Nase für experimentierfreudige Querdenker hat, ihn ans Schauspiel Frankfurt, wo er als Musikalischer Leiter Theatererfahrung sammeln kann. Inzwischen füllt sein Werkverzeichnis mehrere Seiten: Szenische Konzerte und Musiktheater, Ballett- und Schauspielmusiken, Filmmusiken und Videoproduktionen, Installationen, Hörstücke, Ensemble- und Orchesterwerke, auch Stücke für kleine Besetzungen und Tonbandkompositionen. Zahlreiche Werke von Heiner Goebbels – nicht nur die Hörstücke - leben wesentlich von einem experimentellen Umgang mit Sprache. Text setzt er nicht nur im Sinn seiner Bedeutung ein, sondern auch als Träger von Klang und Struktur, die wiederum Bedeutung evozieren. Entsprechend weit gespannt ist der Kreis der Autoren, deren Texte er – oft in der Originalsprache - verwendet: Gertrude Stein, Edgar Allan Poe, Elias Canetti, Allain Robbe-Grillet etwa, Bertolt Brecht und immer wieder Heiner Müller. Goebbels ist ein kommunikativer Mensch, er braucht die Zusammenarbeit mit kreativen und streitbaren Partnern. So wie er immer wieder mit dem Szenographen Klaus Grünberg zusammenarbeitet, hat er etwa dem Schauspieler André Wilms mehrere Werke auf den Leib geschrieben, darunter "Max Black", ein hochvirtuoses Ein-Mann-Klangtheater, und "Eraritjaritjaka", ein verwirrendes Spiel mit der Wahrnehmung von Fiktion und Wirklichkeit. Auch mit dem Ensemble Modern gibt es seit Jahren eine intensive und höchst kreative Zusammenarbeit, basierend auf der gemeinsamen Grundüberzeugung, dass künstlerischer Mehrwert nur im Ausprobieren von Neuem entstehen kann. Werke wie "Eisler-Material" und "Schwarz auf Weiss", um nur zwei zu nennen, sind auf die stupenden instrumentalistischen Fähigkeiten dieser Musiker zugeschnitten und fordern sie gleichzeitig in vielfacher Weise als szenische Akteure. Auch nach Jahren sind diese Produktionen noch immer im Repertoire des Ensembles und reisen durch die Welt. Der Komponist, allergisch gegen jede Art von Routine, reist – wo immer es geht – mit und sorgt dafür, dass die Inszenierungen visuell und akustisch an den jeweiligen Raum angepasst werden, kümmert sich um Details, die auf den ersten Blick unwichtig erscheinen mögen, aber dazu beitragen, dass die Stücke wachsen und nicht an Spannung verlieren. Zu Beginn des Jahres 2009 wird Heiner Goebbels zu einer Reise ins Pearl River Delta aufbrechen. Entschieden hat er sich für China, weil ihn die Strukturen der dort entstehenden Megastädte interessieren, die Kommunikation zwischen den einzelnen Elementen, die Folgen des rasanten urbanen Wachstums. Das Thema Stadt beschäftigt ihn nicht das erste Mal. Mit "Surrogate Cities" für zwei Sänger, Sampler und großes Orchester hat er 1994 schon einmal den Versuch einer musikalisch-theatralischen Annäherung an das Phänomen Großstadt mit all seinen Widersprüchen unternommen, den Versuch, "die Stadt als Text zu lesen, etwas aus ihrer Mechanik und Architektur in Musik zu übersetzen". Wenn er in eine andere Stadt komme, so sagt Heiner Goebbels, versuche er, sich von höchsten Punkt aus einen Überblick zu verschaffen, zu sehen, wie sie strukturiert ist und wie ihre Grenzen verlaufen. Hongkong hat viele Wolkenkratzer. Zu erfahren, was er von dort oben gesehen hat, könnte spannend werden.