19 April 2012, Ulla Bayerl, Faust-Kultur
Portrait (de)

Heiner Goebbels bekommt den Ibsen Preis

"Nicht immer verstehe ich selbst, woran ich arbeite. Hätte ich es verstanden, müßte ich daran nicht mehr arbeiten." Heiner Goebbels

Der Theaterautor, Regisseur und Komponist Heiner Goebbels wird mit dem Internationalen Ibsen-Preis der norwegischen Regierung geehrt. Wer in sein Werkverzeichnis blickt, dem kann angesichts der schieren Fülle schwindelig werden. Er wurde 1952 in Neustadt an der Weinstraße geboren und kam 20 Jahre später nach Frankfurt, um sein in Freiburg/ Breisgau begonnenes Studium der Soziologie und der Musik fortzusetzen. Hier zog er in ein besetztes Haus, machte Straßenmusik und trat bei Willy Praml an der Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach in Brechts „die Ausnahme und die Regel“ als Musikclown auf. Er entwickelte mit den Schauspielern der „Roten Grütze“ die Musik für das Stück „Was heißt hier Liebe?“ und wurde danach von Peter Palitzsch als musikalischer Leiter ans Schauspiel Frankfurt engagiert. 1976 gründete er das „Sogenannte Linksradikale Blasorchester“, im gleichen Jahr das Duo mit dem Saxophonisten Alfred Harth und 1982 das Rock-Art-Trio „Cassiber“. Gleichzeitig komponierte er Theatermusik für Hans Neuenfels, Claus Peymann, Matthias Langhoff, Ruth Berghaus und Filmmusik für Helke Sander, die Brüder Dubini und andere, aber auch Musik für das Ballett Frankfurt. Mitte der 80er Jahre realisierte Goebbels für den Rundfunk Hörstücke wie „Verkommenes Ufer“, „Die Befreiung des Prometheus“, „Wolokolamsker Chaussee“ mit Texten von Heiner Müller oder „Schliemanns Radio und „Der Horatier“. Die inszenierten Konzerte, seine damals ureigenste Domäne, machten seinen Namen mit den Stücken „Der Mann im Fahrstuhl“ und „Die Befreiung des Prometheus“ international bekannt. Vor allem das Konzert für Tänzer „Thraenen des Vaterlands“, aber auch die Musiktheaterstücke „Newtons Casino“ und „Die römischen Hunde“ haben sich allen, die das miterleben konnten, dauerhaft eingeprägt. Dieser immer wieder neue Zugriff auf vorbildlose Bühnenkunst hat freilich auch die Erwartung an diesen Künstler erheblich gesteigert. Und er ist ihnen qualitativ und quantitativ entgegengekommen. Zusammen mit der ungewöhnlichen Kammermusik für das Ensemble Modern und den aufsehenerregenden Kompositionen für großes Orchester „Surrogate Cities“, „Industry & Idleness“ oder „Walden“ (sie sind alle auf CD erschienen, 20 Plattenveröffentlichungen gibt es von Goebbels insgesamt) ergeben seine innovativen Opern- und Musiktheaterproduktionen „Ou bien le débarquement désastreux“, „Die Wiederholung“, „Schwarz auf Weiss“, „Max Black“, „Eislermaterial“ und „Hashirigaki“„Landschaft mit entfernten Verwandten“ (2002), „Eraritjaritjaka“ (2004) und dieses geisterhafte Bühnenstück ohne Menschen „Stifters Dinge“ (2007) die Stufen zum Olymp performativen Schaffens. 1999 wurde Heiner Goebbels Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er ist Präsident der Hessischen Theaterakademie und mit der künstlerischen Leitung des internationalen Kunstfestivals Ruhrtriennale 2012-2014 beauftragt. Dass er jetzt die mit gut 330 000 Euro verbundene Auszeichnung des Internationalen Ibsen-Preises geehrt wurde, ist zu begrüßen. Drei Tage nach dieser Entscheidung ist er übrigens mit der Ehrendoktorwürde der City University Birmingham ausgezeichnet worden. Aus dem von Wolfgang Sandner herausgegebenen Buch „Heiner Goebbels. Komposition als Inszenierung“ sind einige Auszüge hier zu lesen. –ert.

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