22 April 2012, Christiane Hoffmans, Welt am Sonntag
Portrait (de)

Kunst für den bewegten Zuschauer

Heiner Goebbels ist leicht nervös. Seine Stimme changiert ganz sanft, seine Augen blicken vorsichtig gespannt in die Menge. Wie würden die im Sanaa-Gebäude auf der Essener Zeche Zollverein anwesenden Pressevertreter sein erstes Programm wohl aufnehmen? Das muss sich der neue Intendant der Ruhrtriennale gefragt haben. Eine gute Stunde führte der Gießener Professor, Komponist und Theatermacher geschmeidig durch sein von thematischen Hilfskonstruktionen unverstelltes Programm. Auf die Frage, ob das "International Festival of the Arts", wie die Triennale im Untertitel heißt, einen roten Faden habe, sagte er: Der liege im Zuschauer selbst. Google Anzeige Witt Rechtsanwälte erneut erfolgreich - zweiter Prozesserfolg SpaRenta www.witt-rechtsanwaelte.de Diese Antwort ist keine kesse Replik, sondern in ihr liegt der Schlüssel zu Goebbels Kunstverständnis. Es geht ihm um eine, nennen wir es, ästhetische Empathie des Publikums. Für Goebbels ist Theater ein Ort der Erfahrung - nicht der Mitteilung. Daher sind Musik, Tanz und bildende Kunst - also jene Genres, die sich auch intuitiv emotional erschließen, die favorisierten Spielarten des Frankfurters. In seinen eigenen Werken stößt der Komponist Prozesse an, in denen sich verschiedene Kunstgattungen wechselseitig durchdringen. John Cages "Europeras 1 & 2", ein Gewebe aus 128 Arien in 32 Bildern, fügt sich da gut in Goebbels Philosophie ein - ebenso wie Romeo Castelluccis Klang- und Bilderwelt "Folk". Goebbels greift den ursprünglichen Gedanken der Ruhrtriennale als "Labor" wieder auf. Gerard Mortier, der Gründungsintendant, hatte mit seinen Kreationen ein Format geschaffen, das die Grenzen zwischen den Genres auflöst. Seine Nachfolger, Jürgen Flimm und Willy Decker, verfolgten diese Spur nicht weiter. Goebbels' Konzept ist mit dem Mortiers verwandt - aber radikaler an die Gegenwart geknüpft. Er lädt Jérome Bell ein, sein Stück "Disabled Theater" mit geistig behinderten Schauspielern zu machen. Und der Regisseur Wojtek Ziemilski entwickelt mit "Prolog" eine "soziale Choreografie" mit Zuschauern. Die bildende Kunst, vor allem die der Bewegung, also Video und Performances, werden die diesjährige Ruhrtriennale prägen. Während Willy Decker Zen-Zeichen aus Sand in die Jahrhunderthalle streuen lies, wird nun die israelische Künstlerin Michal Rovner die Mischanlage auf Zollverein mit einem Film sich bewegender Menschenmassen überziehen. Heiner Goebbels geht mit seinem spannenden Programm ein Wagnis ein. Denn wenn dieses Festival mit seinen 30 avantgardistischen Produktionen, die nicht auf eine Festspiel-Bourgeoisie á la Salzburg schielen, ein Erfolg sein soll, so muss die künstlerische Qualität über jeden Zweifel erhaben sein. Ansonsten spielen die Künstler vor leeren Rängen. Und ohne Zuschauer kommt auch das intelligenteste Theaterkonzept nicht zum Tragen.