12 November 2008, Oliver Kranz, RBB (Radio)
Feature (de)

Porträt: Heiner Goebbels

Anmoderation: Die Arbeit von Heiner Goebbels ist schwer zu beschreiben: Er komponiert und inszeniert und beliefert mit eigenwilligen Musiktheaterperformances die großen internationale Festivals. Seine neue Produktion ist im August beim Festival von Edinburgh uraufgeführt worden und läuft ab morgen bei der Spielzeiteuropa im Haus der Berliner Festspiele. Titel: "I went to the house but did not enter" - ein szenisches Konzert in drei Bildern. Mehr über Heiner Goebbels nun in einem Porträt von Oliver Kranz. Er sieht sich nicht als 68er, doch aus der linken Szene kommt er schon. In den 70er und 80er Jahren trat Heiner Goebbels als Musiker bevorzugt auf Demonstrationen auf. Heute ist er Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Präsident der Hessischen Theaterakademie. Heiner Goebbels das klingt staatstragender als es ist. Ich habe ja früher immer das Akademische als Schimpfwort benutzt. Alles was akademisch war, hat mich nicht interessiert. Aber die hessische Theaterakademie ist eine Akademie von unten. Sie ist keine repräsentative Organisation mit einem repräsentativen Bau und einem furchteinflößenden Schreibtisch, sondern das ist eine Möglichkeit, um für Professoren und Lehrer den Studierenden besser die Möglichkeit zu geben, sich auf die Komplexität der künstlerischen Praxis vorzubereiten. Heiner Goebbels versucht als Akademiepräsident, Künstler verschiedener Bereiche zu vernetzen - Tänzer mit Dramaturgen, Bühnenbildner mit Musikern, Schauspieler mit Bildenden Künstlern. Er möchte Neues anregen und nicht einfach alte Traditionen fortschreiben. Auch in seinen eigenen Werken: statt Opern oder Orchesterstücke zu komponieren, präsentiert er szenische Konzerte oder komplexe Soundinstallationen. Goebbels wurde 1952 in Rheinland-Pfalz geboren. Musik spielte in seiner Familie eine große Rolle. Schon mit 5 Jahren erhielt er Klavier- und später auch Cellounterricht. Er studierte Soziologie und Musik in Freiburg und Frankfurt am Main und gehörte 1976 zu den Gründern des Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters. Das Wort "sogenannt" gehörte fest zum Gruppennamen... Heiner Goebbels ... weil wir wollten uns nicht so nennen, wurden dann aber so genannt und das haben wir uns zum Titel gemacht. Aber auch das war keine Gruppe, die plakativ mit Texten oder Musik umging. ... wir hatten immer den Anspruch, dass wenn die Komposition nicht die Struktur trägt, die wir anstreben, dann ist sie nur noch Beförderungsmittel und das wollten wir nicht. Die angestrebte Struktur war demokratisch-undogmatisch, der Stil driftete im Lauf der Jahre immer mehr in Richtung Jazz. 1980 durfte das Sogenannte Linksradikale Blasorchester beim Berliner Jazzfest in der Philharmonie auftreten, doch das ging einigen Orchestermitgliedern schon zu weit. Sie wollten sich nicht in den normalen "Kulturbetrieb" integrieren. Ein Jahr später löste sich das Orchester auf. Heiner Goebbels, der damals Saxophon spielte, gründete Freunden eine neue Band, schrieb Hörspiele und Theatermusik. Er arbeitete mit Claus Peymann, Ruth Berghaus und Hans Neuenfels zusammen und merkte dabei, dass er sich an großen Bühnen nicht besonders wohl fühlte. Die Strukturen erschienen ihm einfach als zu starr und zu hierarchisch. Heiner Goebbels Aus diesem Grund habe ich mir einen Arbeitsprozess gewünscht und jetzt ermöglicht, der eben enthierarchisiert ist - wo ein Licht auch mal einen Text ersetzen kann oder eine Musik für sich steht und nicht nur einen Umbau kaschieren muss. Sein erstes großes Orchesterwerk kam 1994 an der Alten Oper Frankfurt heraus. Es hieß "Surrogate Cities" und versuchte städtische Strukturen, musikalisch nachzubauen. 1998 präsentierte er sein mit viel Kritikerlob bedachtes "Eislermaterial", eine Komposition für das Ensemble Modern. Eislermaterial (Finale Improvisation aus "Fünf Orchesterstücke") Verblenden mit Heiner Goebbels Opernaufträge kamen erst Ende der 90er in größerem Stil - vor allem nach meiner letzten Oper "Landschaft mit entfernten Verwandten". Ich hab sie alle abgelehnt, alle Opernaufträge, weil ich glaube, ich kann in diesen Häusern nicht gut sein. Ich habe da nicht die Bedingungen, die ich bräuchte, um tatsächlich alle Mittel des Theaters in gleicher Weise entwickeln zu können. Goebbels schreibt seine Musik meist für konkrete Räume. Das bedeutet, dass er über längere Zeit im Originalbühnenbild proben muss. Das ist in den meisten deutschen Theatern nicht möglich. Goebbels arbeitet daher seit einiger Zeit am Théâtre Vidy-Lausanne in der Schweiz. Parallel leitet er das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, unterrichtet Komposition und führt mit den Studenten praxisorientierte Projekte durch. Heiner Goebbels Es ist für meine eigene Arbeit anregend. Es ist sehr gut, wenn man immer mal wieder gezwungen ist, seine eigenen Arbeitsweisen zu reflektieren und nicht einfach so weiter macht, wie man es gewohnt ist. Und so hat Heiner Goebbels nicht das Gefühl, dass seine Lehrtätigkeit, seine Arbeit als Komponist behindert. Im Gegenteil. Sie bringt Erkenntnisse, die dann in die Werke einfließen können. In der Regel bringt er alle zwei Jahre ein neues Stück heraus. Ein Schnellschreiber war er noch nie, doch er gehört ganz gewiss zu den anregendsten deutschen Komponisten und Musiktheatermachern der Gegenwart. Absage: Oliver Kranz über Heiner Goebbels, dessen szenisches Konzert "I went to the house but did not enter" ab morgen im Haus der Berliner Festspiele präsentiert wird - bis Sonntag täglich um 20 Uhr.

RBB Kulturradio, Sendung um 6.10 und 15.45