17 August 2002, Tim Gorbauch
Portrait (de)

Angekommen

Der in Frankfurt lebende Komponist und Regisseur Heiner Goebbels feiert heute seinen 50. Geburtstag

Der in Frankfurt lebende Komponist und Regisseur Heiner Goebbels feiert heute seinen 50. Geburtstag Sein ästhetisches Manifest formuliert er gerne lapidar: Ich muss nichts loswerden", sagt er, oder: "Ich will nichts mitteilen." Das war nicht einmal Ende der siebziger Jahre anders, als sich Goebbels explizit als politischer Musiker verstand und mit dem Sogenannten Linksradikalen Blasorchester bevorzugt auf Demonstrationen aufspielte. Die Musik des Blasorchesters war lustvoll und anarchisch, folgte aber keinem konkreten politischen Programm. Sie war frei - und ohnmächtig. Nach einem Auftritt bei einer großen Anti-Atommüll-Demonstration löst sich die Gruppe 1981 auf. Gemeinsam mit Alfred Harth, Christoph Anders und Chris Cutler gründet Goebbels das experimentelle Rock-Quartett Cassiber. Zeitgleich arbeitet er an Theater-, Film- und Ballettmusiken und entdeckt die Sprachgewalt Heiner Müllers für sich. Das ist insofern charakteristisch, weil sich bis heute die Keimzelle der Werke Goebbels' nie im rein Musikalischen verorten lässt. Immer wieder weisen seine Stücke auf literarische oder theatrale Ursprünge zurück, auf Kierkegaard, Robbe-Grillet, Francis Ponge, Logik-Abhandlungen und immer wieder Heiner Müller. Auf die Frage, wie er sich thematisch einem Stück nähert, antwortet Goebbels gerne: durch Lesen. Komponieren bezeichnet er auch als akustische Inszenierung von Texten. Die Texte Heiner Müllers, Die Befreiung des Prometheus etwa oder Verkommenes Ufer, verarbeitet er Mitte der achtziger Jahre zu Hörstücken, völlig neuartigen, schillernden und kraftvollen Hörstücken, die sich nicht so sehr an der Semantik der Müllerschen Worte abarbeiten, sondern an ihren strukturellen Angeboten. Rasch avanciert Goebbels zum Erneuerer eines bis dahin wenig beachteten Genres. Preise fliegen ihm zu. In einer Laudatio zu seiner Bearbeitung der Wolokolamsker Chaussee sagt Helmut Heißenbüttel: "Wenn es heute noch so etwas wie Oper geben könnte, dann wäre dies eine Oper." Von Heißenbüttel ungewollt ist damit die Richtung gewiesen: Goebbels tendiert immer stärker zum szenischen Musikthea-ter. Im Ensemble Modern findet er einen verlässlichen Partner, anfangs auch im TAT. Aufregende und vor allem neue Perspektiven anzeigende Werke entstehen: ...oder die glücklose Landung, Schwarz auf Weiß, Max Black. Seine Kompositionstechnik bleibt dabei weitgehend unverändert, sie setzt auf die Montage heterogener Ereignisse. Er verbindet in seinen Werken verschiedenste musikalische, literarische und theatrale Stilmittel, ohne deren Autonomie zu gefährden. Er liebt es, über die Grenzen zu balancieren und mit offenem Ohr das zu musikalisieren, was ihm dort begegnet. Längst ist Goebbels einer der wichtigsten deutschen Komponisten der Gegenwart geworden. Am 21. August wird ihm die Stadt Frankfurt die Goethe-Plakette verleihen. Im März 2003 werden die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle Goebbels' neuestes Werk uraufführen, das mag man durchaus als vorläufigen Höhepunkt einer vieljährigen Entwicklung ansehen. Heiner Goebbels ist angekommen, wo er Ende der siebziger Jahre wahrscheinlich nicht hin wollte: im Olymp der Hoch-Kultur. Ein Frankfurter Sponti, der auf Demonstrationen die Anarchie predigte, fasst in Berlin Fuß. Irgendwie glaubt man, von so einem Lebenslauf schon mal gehört zu haben. Heute wird Heiner Goebbels 50, Sein Geburtstag wird auch in Frankfurt nicht überhört. Heute abend wird in einer von Hans Romanov und dem Mousonturm organisierten Veranstaltung das Berliner Rechenzentrum Material von Heiner Goebbels in einen durchaus experimentellen, aber dancefloor-kompatiblen Kontext stellen. Ort ist die Honsellbrücke, Veranstaltungsbeginn ist gegen 22 Uhr. Das Ensemble Modern wird am 8. September an die Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit erinnern und im Rahmen des "Auftakt 2002" in der Alten Oper Stücke wie "Herakles 2" und die Samplersuite aus "Surrogate Cities" aufführen. Am gleichen Tag wird dort ein von Wolfgang Sander herausgegebenes, Heiner Goebbels gewidmetes Buch vorgestellt. Es heißt, durchaus sinnig: "Komposition als Inszenierung". (Tim Gorbauch)