17 August 2002, Gerald Siegmund, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Portrait (de)

Mit feinem Gespür für die Verbindungen

Der Frankfurter Komponist und Regisseur Heiner Goebbels wird heute 50 Jahre alt

Mit feinem Gespür für Verbindungen Der Frankfurter Komponist und Regisseur Heiner Goebbels wird heute 50 Jahre alt Als Künstler würde er nie Dinge aus der Vergangenheit präsentieren. Er würde sie als Material behandeln, das für etwas anderes, Zeitgenössisches zur Verfügung steht. Wer das gesagt hat, war John Cage. Es könnte aber auch von Heiner Goebbels stammen, dem Frankfurter Komponisten und Regisseur, der sich gern auf Cages unorthodoxe Auffassung von Musik bezieht. Der diplomierte Soziologe mit Staatsexamen in Musik, der 1972 zum Studium nach Frankfurt kam und seither, wie er es selbst einmal ironisch formulierte, "hier hängengeblieben" ist, war 1976 Mitbegründer des Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters, eines Musikerkollektivs aus der Sponti-Szene, machte wenig später Theatermusik für Regisseure wie Claus Peymann, Hans Neuenfels oder Christof Nel, bevor er die elektronische Musik als Puls, Rhythmus und Atem der heutigen Zeit entdeckte. Sein Verfahren zielte dabei nie auf die akademische Reinhaltung der Musik, auf das Finden des einen richtigen Tons. Umgeben von elektronischen Geräten, modernen Telekommunikationsmitteln, CDs und Büchern, ist sein Akt des Komponierens eher ein Prozeß der Vernetzung bei dem er Texte, Töne, Geräusche, Sounds und Samples aufspürt und kreiert, die die Spuren ihrer kulturellen Verwen-dung immer schon in sich tragen. Heiner Goebbels streckt die Fühler aus und spitzt die Ohren, um das dem Material einge-schriebene Gesellschaftliche hörbar zu machen, indem er die Teile wie in seinem szenischen Konzert "Eislermaterial" ge-treu dem Brechtschen Verfremdungsef-fekt so montiert, daß sie sich gegenseitig erhellen, spiegeln und kommentieren. Rhythmus und Klang des Materials selbst geben ihm dabei die Richtung vor. Oft entzündet sich seine musikalische Phantasie an literarischen Texten etwa von Heiner Müller, die in den achtziger Jahren seinen preisgekrönten Hörstücken zugrunde lagen. Heiner Goebbels hat sich immer dagegen gewehrt, die Texte im herkömmlichen Sinn zu vertonen. Seine Kompositionen illustrieren nicht deren Aussage, die sich bei Müller ohnehin nicht ablösen läßt von der hochverdichteten Form. Sie spüren vielmehr den Brüchen, Zäsuren und rhythmischen Besonderheiten nach, die die Vorlage strukturieren, um mit den eigenen Mitteln darauf zu reagieren. Fast schon könnte man sein Verfahren eines der Unpersönlichkeit nennen, bei dem der Regisseur und Komponist hinter der Eigendynamik des Klangarchivs zurücktritt. Doch das hieße sein feines Gespür für Konstellationen und Verbindungen unterschätzen, die seinen Arbeiten doch ihren unverwechselbaren Stempel aufdrücken. Seit Beginn der neunziger Jahre hat er sich verstärkt als Regisseur seiner eigenen Musiktheaterstücke hervorgetan, von denen viele am TAT in Frankfurt koproduziert und uraufgeführt wurden. Zusammen mit dem Regisseur und Bühnenbildner Michael Simon verwandelte er 1990 für "Newtons Casino" die Bühne des alten TAT am Eschersheimer Turm in den Grundriß von Troja, auf den die Zuschauer von der Empore hinunter wie auf eine Ausgrabungsstätte blicken konnten, in der die Gesetze der Schwerkraft erforscht wurden. 1991 folgte, wieder gemeinsam mit Michael Simon, "Römische Hunde", wo eine riesige Spirale die Bühne beherrschte. Im Bockenheimer Depot wurde 1995 "Die Wiederholung" nach Texten von Alain Robbe-Grillet, Sören Kierkegaard und Prince uraufgeführt. 1996 folgte "Schwarz auf Weiß" mit dem Ensemble Modern, für das Heiner Goebbels gerade eine Oper vorbereitet, die im Oktober in Genf uraufgeführt werden wird. Goebbels Stücke leben auch von einer starken bildlichen Ebene. Licht, Bühne, Kostüm, Ton, Text, Stimme und Musik sind ihm gleichberechtigte Elemente, wobei jedes für sich auch einmal alleine eine Szene führen kann. Kein Wagnersches Gesamtkunstwerk, das alle Mittel lediglich aneinanderreiht, damit sie sich in ihrer Wirkung ergänzen, strebt er damit an, sondern ein Auseinandertreten, das Reibung erzeugt, die wiederum Freiräume für die Zuschauer und Zuhörer eröffnen soll. Sein Mißtrauen gilt auch hier Schauspielern, die ihre Rollentexte mit ihrer eigenen Psychologie unterfüttern und damit das Spezifische, Fremde des Textes zudecken, Mit André Wilms, den er 1993 in "Ou bien le débarquement désastreux", begleitet von zwei senegalesischen Musikern, als Reisenden in ein fremdes Land schickte und der 1998 in "Max Black" als getriebener zweifelnder Wissenschaftler die Bühne in ein regelrechtes Feuerwerk der Experimente verwandelte, hat er einen ebenso kongenialen rhythmischen Sprecher gefunden wie in Josef Bierbichler und Ernst Stötzner, die mit Goebbels jeweils für "Eislermaterial" und "Die Befreiung des Prometheus" zusammengearbeitet haben. Rund um die Welt feiert sein Musiktheater Erfolge - in Frankfurt war "Max Black" das letzte große Stück, das von Goebbels, der heute 50 Jahre alt wird, zu sehen war. Das soll sich nun ändern. Das Ensemble Modern spielt am 8. September in der Alten Oper zusammen mit der Mezzosopranistin Jocelyn B. Smith Werke von Heiner Goebbels. Der Mousonturm zeigt im Oktober noch einmal "Max Black", und das Schauspiel Frankfurt folgt im Dezember mit "Hashirigaki", das Texte von Gertrude Stein mit Songs der Beach Boys in eine wunderbar leichte oszillierende Schwebe bringt. Die Veranstaltungsreihe beginnt heute um 22 Uhr mit einer "Materialausgabe für Heiner Goebbels", die Hans Romanov mit dem Mousonturm an der Honsellbrücke am Osthafen veranstaltet. Am kommenden Mittwoch bekommt Heiner Goebbels die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main überreicht. (Gerald Siegmund)