29 September 2014, dpa, Nürnberger Nachrichten
Portrait (de)

Die Kultur umarmt die Großstadt

Die Ruhrtriennale überzeugte im letzten Jahr unter Intendant Heiner Goebbels

"...Der Komponist Heiner Goebbels hat drei Jahre die Ruhrtriennale als Intendant geleitet. Zum Ende seiner Amtszeit - 2015 übernimmt der Niederländer Johan Simons - kann er zufrieden auf die nun zuende gegangene Festivalsaison blicken. Rund 90 Prozent Auslastung, etwa 53 000 verkaufte Tickets plus 20 000 Besucher einer frei zugänglichen Installation im Landschaftspark Duisburg-Nord. Die Rekord- Bilanz zum Ende der dreijährigen Intendanz von Heiner Goebbels vermeldete erwartungsgemäß Glanzvolles. Interessanter waren da vielleicht statistische Details wie dieses, dass 2013 das Durchschnittsalter der Besucher von zuvor 53 auf 47 Jahre sank. Das mag an der Zugänglichkeit des Angebots in den alten Industriedenkmälern des Ruhrgebiets unter Goebbels gelegen haben. Interaktive Projekte und Einbeziehung der Bevölkerung waren von Beginn an Teil seines Programms. Paradebeispiel dafür war das Abschlussprojekt des Intendanten mit der französischen Choreographin Mathilde Monnier: "Surrogate Cities Ruhr", eine bewusste szenische Umarmung der Ruhrstädte. Die Orchestersuite "Surrogate Cities", uraufgeführt 1994, ist vielleicht die wichtigste Komposition im Oeuvre von Heiner Goebbels. Das vielschichtige Werk, das versucht, den Tönen und dem Lärm der Metropolen musikalisch nachzuspüren, ist einerseits Dokument von Goebbels’ ekklektizistischer Auseinandersetzung mit den wichtigen Tendenzen der klassischen Moderne. Andererseits entsteht durch Goebbels’ geschicktes Sampling von "echtem" Großstadtlärm ein manchmal fast neoimpressionistisches, dann wieder grotesk verzerrtes oder überhöhtes Klangbild. Zur Darbietung dieses Werks durch die Bochumer Symphoniker unter Steven Sloane im Mittelpunkt der riesigen Spielfläche in der Duisburger Kraftzentrale hat Mathilde Monnier 130 Laien in einer Tanz- und Bewegungschoreografie angeleitet: Duisburger Grundschulkinder genauso wie Essener HipHop-Tänzer, Dortmunder Standard- Tänzer oder Duisburger Wing-Chun-Kämpfer. So entsteht ein großes, buntes, ungemein aufwändiges Bild des Großstadt als disparates Ganzes, eine ästhetische Behauptung, mit eindrucksvoller Musik gefüllt. Und dies obwohl die Arbeit Monniers in Anbetracht der schieren Masse der Mitwirkenden in der - durchaus einkalkulierten - Ungenauigkeit zwischen Hüpfen, Schreiten, Zappeln und Wippen verwischt und verrutscht . . . "Auch Musik wird ja aus einer sehr subjektiven Perspektive komponiert (...). Das trifft für mich nur bedingt zu. Ich versuche, etwas mehr Abstand zu halten, ich baue etwas, das gegenüber dem Publikum einen Platz einnimmt, und das Publikum reagiert darauf, hat in der Musik einen Raum, in den es mit seinen Assoziationen, Vorstellungen reingehen kann," sagt Goebbels über seine eigene KompositionsArbeit. Mit der gleichen Haltung versuchte er auch, seine Zuschauer zu den Musiktheater-Kreationen seiner Gastregisseure zu verführen. Castelluccis surreale Bildwelt Diese prägten eine Ära der Ruhrtriennale, die sicherlich prägnanter in Erinnerung bleibt als die von Willy Decker, der bewies, dass auch opulenteste Opernproduktionen in große Industriekathedralen passen, oder Jürgen Flimm, der Guckkastenbühnen in die Ruhrgebiets-Hallen bauen ließ, um seine luxuriösen Salzburger Festspiel-Produktionen einer lukrativen Zweitverwertung zuzuführen. Heiner Goebbels ist der Intendant, der sich wieder zurückbesonnen hat auf das Ursprungskonzept des genialen Gründungsintendanten Gérard Mortier, ohne den die Ruhrtriennale wahrscheinlich nie die Relevanz erlangt hätte, die ihr seit ihrem Start 2002 zugeschrieben wurde und die sie jetzt annähernd wieder erlangt hat...."

on: Surrogate Cities (Composition for Orchestra)