October/November 1982, Bernd Leukert, Staatsanzeiger
Interview (de)

Musik, die Erfahrungen aufbewahrt

Von klirrenden Scheiben und der vertretbaren Schönheit mancher Musik

Er will eine Musik, die auf falsches Sentiment verzichtet, die dabei aber nicht aufhört Spaß zu machen und unmittelbare Kraft zu entwickeln. „Das Lebendige, Menschliche, auch Fehlerhafte, das die Person überhaupt erst sichtbar macht, daran habe ich ein fast politisches Interesse.“ Bernd Leukert sprach mit dem Gründer des >>Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters« Heiner Goebbels über die Schwierigkeiten, die Sentimentalitat mancher Geschichten durch Synthetik, Härte im Rhythmus zu einer vertretbaren Schönheit zu machen. Gott und die Welt kommen nicht vor, wohl aber: Eric Burdon, Hanns Eisler, Keith Jarrett, Udo Lindenberg, Free Jazz, minimal music, Frankfurter Spontis, die gar zu sanften Töne der Friedensbewegung.

Die meisten Leute können seinen Familiennamen nicht aussprechen, obwohl der sehr deutsch und schlicht ist. Er aber liebt ihn, weil er so viel über die Leute sagt, die sich mit ihm abmühen, und über die, denen es eine Lust ist, diesen Namen so oft wie möglich wieder über die Lippen zu bringen. Von jedem, mit dem er zu tun hat, wird er nach dem Verwandtschaftsverhältnis gefragt. Und er hat tatsächlich einen Onkel, der Joseph Goebbels hieß. Der ist auch nicht verwandt. Aber dem haben die Franzosen nach dem Krieg alles abgenommen, weil er Joseph Goebbels hieß. Da hat er sich umtaufen lassen und den Namen seiner Mutter angenommen. Daraufhin haben sie ihm alles wieder zurückgegeben.

Von der Einfältigkeit ist Heiner Goebbels nicht so sehr abhängig, dafür um so mehr von der Vielfalt. In Gewand und Maske eines Clowns betätigt er in einem Brechtschen Lehrstück Harmonium, Saxophon, Fußtrommel und Schellenwerk gleichzeitig, auf dem Podium seiner Musikhochschule interpretiert er Lieder von Hans Werner Henze, schreibt seine Diplomarbeit in Soziologie über Hanns Eisler, interpretiert ihn dann im Jazz-Duo mit Alfred Harth, gründet das Sogenannte Linksradikale Blasorchester, komponiert, geht abends in die Disko tanzen, schreibt die Musik für die „Woyzek“-lnszenierung in Bochum: der Tambourmarsch klingt, als wäre er vom Sogenannten Linksradikalen Blasorchester gespielt, und am Ende der Jahrmarktszene schlagen beim Tanz der Marie die Beteiligten auf leere Öltonnen ein, ein Einfall mit Spätfolgen; das Sogenannte Linksradikale Blasorchester löst sich unter Entsetzens- und Bewunderungsschreien aller Sympathisanten auf, aber während der großen Demonstration gegen den Bau der Start- bahn West in Wiesbaden werfen die Fassaden der großzügigen Bürgerhäuser das ungeheure Dröhnen von etwa zwanzig rhythmisch geschlagenen Tonnen zurück, und die Tonnen machen auch „Höllenlärm in Frankfurt City“ (Abendpost/Nachtausgabe), in Bonn und anderswo. Mitglieder des ehemaligen Blasorchesters hatten einen schärferen Ausdruck gefunden. Zuhause hört Goebbels Schumann-Lieder, zusammen mit alten und neuen Kol- legen produziert er die vom Jungen Forum für die Ruhrfestspiele 1980 bestellte „Abrazzo Oper“ und spielt darin E-Gitarre, er macht die Filmmusik für „Der subjektive Faktor“ von Helge Sander und steuert welche zu „Septemberweizen“ von Peter Krieg zu (Musik: Rolf Riehm), liefert die Musik für die „Penthesilea“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels am Berliner Schillertheater, Dokumentarfilm-Musiken, eine Platte nach der anderen: die dritte Duo-Platte(„IndianerfürMorgen“) bekommt den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik, auf dieser LP ist auch der bedrohliche Reißer „Berlin, Kudamm 12.4.81“ mit Materialien, die für das Gewaltstück „Penthesr’lea‘.‘ nicht mehr paßten. Die Platte ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich („Mein Eindruck: hier machen intellektuelle Musiktheoretiker Musik für intellektuelle Musiktheoretiker“, Elefantenklo vom 15.3.82), interessant auch deshalb, weil auf ihr die Sängerin Dagmar Krause mitwirkte, vorher bei „Art Bears“. Jetzt hat Heiner GoebbeIs die Gruppe „Cassiber“ gegründet, die langjährigen Mittäter Alfred Harth und Christoph Anders gehören dazu, und der englische Avantgarde—Rock-Schlagzeuger Chris Cutler, der Gründer der europäischen Musiker-Kooperative „Rock in Opposition“, Chef von „Henry Cow“ und „Art Bears“, beteiligt an Produktionen von „Aqsak Maboul“ und ähnlichen Verbindungen, einer der wichtigsten Köpfe der politisch widerständigen Rockmusik. „Man or Monkey“ heißt das erste Album. dieser MultiinstrumentaI-Gruppe, dessen einzelne Stücke ohne detailliertes Konzept aufgenommen wurden; die rockigen Collagen beruhen in der Hauptsache auf der Improvisation spontan entstehender Verlaufsmuster. Schließlich ist noch von einer neuen Single zu berichten: „Die letzte Buche“ heißt die wehmütige Erzählung einer älteren Frau davon, wie der Bau derStartbahn Westin das Leben eingreift, mit einer heiklen Musikversehen von Heiner Goebbels. Ich bin sicher, das ist noch nicht alles.

- Heiner Goebbels und Bernd Leukert-

Leukert: Wie kann ein Musiker, der mit Eisler-Bearbeitungen angefangen hat, der sich Eisler fast wie ein Programm vorgenommen hat, wie kann der jetzt bei Collagen landen, bei Minimal-Musik-An- klängen? Wie kommt jemand, der einen künstlerischen Anspruch hat und gewohnt ist, seine Arbeit auch politisch zu rechtfertigen, mit einer solchen Entwicklung zurecht?

Goebbels: Nach wie vor setzt Eisler zwei zentrale Perspektiven für meine Arbeit, obwohl Eisler für mich kein Tagesthema mehr ist. Das eine Prinzip ist sein außermusikalisches Interesse. Ich kann z.B. nicht arbeiten wie ein Komponist, der einfach eine Idee hat und dann anfängt zu arbeiten. Ich kann auch ein halbes Jahr nichts tun, - da fällt mir auch nichts ein. Und wenn ich dann so ein Tonband im Radio höre wie das vom Kudamm oder wenn ich einen Text finde, den ich vertonen könnte oder wenn ich eine Struktur finde, mit der ich was erzählen könnte, dann kann ich in einer halben Stunde sehr viel machen... Wichtig ist: es liegt ein außermusikalisches Interesse vor, das ich mit musikalischen Mitteln beackern kann. Beim Blassorchester war das auch so. Ohne Anlaß ist mir monatelang nichts eingefallen. Das ist auch meine Rettung vor der Beliebigkeit. Es ist nicht so wie etwa bei den Free-Jazzern, die sich auf der Stelle drehen, und deren Musik sich ausschließlich um die Person des Musikers dreht. Mich interessiert nicht so sehr, meine langweilige Existenz immer wiederneu auszudrücken. Ich bin auch nicht so ein chaotischer oder genialer Typ, der einen total verrückten Ausdruck drauf hat. Ich brauch’ ein Thema. Das wirkt sich auch auf die Duo-Arbeit mit Alfred Harth aus: wir machen manchmal ein viertel Jahr nichts Neues, spielen nicht zusammen, wir üben nie. Es gibt keinen Anlaß dafür. Erst eine ldee von außen setzt die Arbeit in Gang.

Die andere Weise, in der ich mich auf Eisler beziehen kann, ist mehr ein kompositorisches Prinzip, das, was er mal Fortschritt und Zurücknahme genannt hat: Einerseits war er als Schönberg- Schüler bemüht, stets den höchsten kompositionstechnischen Standard zu halten, gleichzeitig konnte er aber ganz einfache Sachen schreiben bis hin zu den Massenliedern wie das Einheitsfrontlied. Er war der Meinung, daß man, wenn man für die Popularisierung bestimmte Mittel weiterentwickeln will, andere Mittel dafür zurücknehmen muß. So nahm er z.B. die Harmonik auf eine kirchentonale Ebene zurück, um in den Massenliedern mit rhythmischen und metrischen Unregelmäßigkeiten die Märsche aufzubrechen: der harmonische Konsens ermöglichte für den Zuhörer die Eskapaden. Das Verhältnis von Vertrautheit und riskanter Fremdheit ist für mich zum Anspruch an meine Arbeit geworden. Das war auch das Bauprinzip des Blasorchesters, das als Instrumentalensemble populär und vertraut ist und des- halb auch etwas riskieren konnte.

- Worin unsere Lust besteht -

Leukert: Gerätst Du manchmal in Verlegenheit, Deine Vorlieben theoretisch begründen zu müssen?

Goebbels: Hinterher? Ja. Immer. Wobei ich dann immer mehr zu meinen Vorlieben stehe. Vor drei, vier Jahren konnte ich z.B. zu meinen rhythmischen Vorlieben noch nicht stehen. Die ersten Platten klingen auch noch ganz zerzaust. Und jetzt kommt endlich eine Platte heraus, auf der wir mit einem Rockschlagzeuger zusammenspielen. Von Haus aus bin ich kein Jazzer, sondern ich habe früher Rockmusik und Popmusik gespielt, habe in Schülerbands Eric Burdon nachgespielt. Und das muß ich immer weniger verleugnen, weil ich jetzt einen körperlich empfundenen, rhythmischen Konsens haben kann, ohne darüber hinaus eine platte Musik machen zu müssen: die anderen Elemente habe ich weiterentwickelt. Allerdings - einerseits sage ich, ich will mich nicht persönlich spiegeln, wie das viele Jazzer ausschließlich machen. Ich bin dazu nicht interessant genug. Aber andererseits übernehme ich gern vom Jazz das Prinzip, daß man hört, wer da spielt. Das Lebendige, Menschliche, auch Fehlerhafte, das die Person überhaupt erst sichtbar macht in der Musik, daran habe ich ein fast politisches Interesse.

Leukert: Du sagst, Dich interessieren die Leute, für die Du was machen willst; aber Du willst natürlich nicht verschwinden hinter der Musik. Du willst wiedererkennbar sein. Du machst Musik für ande- re. Welche Haltung hast Du gegenüber den anderen? Wenn Du Komponisten der Avantgarde fragst, werden die meisten eine Lehrerhaltung zu erkennen geben, eine pädagogische Haltung gegenüber den Hörern. Es gibt andere Haltungen, nach denen Musiker nur das spiegeln wollen, was sie vorfinden.

Goebbels: Wahrscheinlich ist es irgendwo dazwischen. Das ist schwer zu sagen. Genauso ist es schwierig geworden, zu sagen, was mein politisches Interesse an der Musik ist. - Ich will keine pädagogische Musik machen. Trotzdem will ich eine differenzierte Musik machen, die nicht hinter den Standard zurückfällt, will die Errungenschaften in den Hörmöglichkeiten nicht verschenken. Vor ein paar Jahren wußte ich noch genau, was ich mit Musik politisch ausdrücken will. Bei Gründung des Blasorchesters lag das auf der Hand. In dieser Zeit der verhärteten Fronten, 1975/76, die K-Gruppen waren noch en vogue, gab es in Frankfurt noch eine große, relativ unorganisierte Sponti-Bewegung, für deren Inhalte wir versucht haben, einen kulturellen Ausdruck zu geben. Wir haben im Grunde versucht zu spielen, was unsere Lebens- weise ist und worin unsere Lust besteht und keine politischen Programme. Da gehörte zum Klangbild, daß man merkte, das sind 15-20 Leute, die können und wollen miteinander spielen, aber die vergeben s_i_ch nichts. Die verbringen keine unnütze Zeit mit Üben. Da findet nicht viel Entfremdung statt. Das war unser Interesse. Und wir haben uns aufgelöst, als dieser Ausdruck politisch harmlos wurde. Politik in der ersten Person machen zu wollen und foIkloristische Bearbeitung in Brokdorf vor dem Bauzaun zu spielen, ist harmlos und ohnmächtig. Darum ist es auch heute viel schwieriger zu benennen, was ich politisch in der Musik ausdrücken wiII. Sicher liegt mir daran, nahezu unabhängig von inhaltlichen Konkretionen Frei— räume für Phantasie zu entwickeln, Musik zu machen, die nicht dem stereotypen Standard von Glätte und Synthetik entsprechen, die zur Zeit neunundneunzig Prozent aller musikalischen Produktionen ausmachen.

- Wenn ich Blues höre -

Leukert: „Worin unsere Lust besteht“ ist ja auch eine politische Haltung. Und solange das Blasorchester funktionierte, warst Du ja in eine Bewegung eingebunden.

Goebbels: In Wahrheit ist das vielfältiger. Die Arbeit im Duo, mit dem Blasorchester und die Arbeit an den Schallplatten: Das ist meine |dentität.

Leukert: Aber jetzt ist Musik Dein Beruf.

Goebbels: Mein Beruf ist Filmmusik und Theatermusik, weil ich davon lebe. Du willst auf den Gegensatz hinaus: hier eingebunden sein, dort isoliert arbeiten?

Leukert: Nicht isoliert, sondern professionell.

Goebbels: Zunächst muß ich sagen, daß das Blasorchester zuletzt nicht mehr eingebunden war in eine Bewegung. Und der Kern der Gruppe, mit dem ich hin und wieder noch etwas mache, ist viel isolierter. Und allein bin ich das natür|ich noch mehr. Ich versuche auch, aus der Entfernung, die ich zu bestimmten Vorgängen habe, selbst zur Startbahn West, musikalisch keinen Hehl zu machen. ,,Die Ietzte Buche“ ist bei aller Parteinahme ein distanziertes Stück.

Leukert: Das Problem haben alle, die eine Bewegung ästhetisch begleiten: daß sie abhängig sind von der Kraft der Bewegung. Du bist gekettet an die Vehemenz der Auseinandersetzung.

Goebbels: Das ist richtig. Ein Druchhaltestück wär’ jetzt nicht mehr möglich. Auch unsere Eisler-Bearbeitungen haben sich ja in diesem Sinn verändert. „Vier Fäuste für Hanns Eisler“ war noch eine destruktive Platte, „Vom Sprengen des Gartens“ war der Versuch, eine vertretbare Schönheit zu spielen.

Leukert: Wo entsteht und wo ist der Punkt, an dem Schönheit nicht mehr vertretbar ist?

Goebbels: Sie ist dann nicht mehr vertretbar, wenn sie zur bloßen Sentimentalität wird, wenn sie mit einem Klischee von Sentimentalität oder von Harmonie verdummend—verlogen wird. Die meisten Leute, die ich kenne und die so einen Anspruch an eine bewußte Form von Musik haben, die trennen das oft: Die hören privat in bestimmten Stunden auch mal Lindenberg oder Keith Jarrett - das habe ich selbst gerne gemacht - oder hören sich klassische Musik an. Das hat auch durchaus den Aspekt einer Absättigung von einer emotionalen Klarheit in der Musik. Und mein Interesse ist, diese Bedürfnisse, die an solche Musiken gebunden sind, zu verbinden mit einer Musik, die ich eine bewußte, intelligentere nennen würde. Mir geht es im Grunde darum, in meiner Musik immer weniger ausklammern zu müssen, vor immer weniger Angst haben zu müssen und meiner musikalischen Sprache immer sicherer zu sein. Wenn ich mich heute hinstellen würde und würde Blues spielen - das habe ich vor zehn, fünf- zehn Jahren getan -, dann würde daran einfach nichts mehr stimmen: die Person nicht, die Situation nicht, die Musik nicht. Das alles hat mit dem heutigen Tage nichts zu tun. Trotzdem gibt es Gefühle und Stimmungen, die abgesättigt werden, wenn ich Blu- es höre. Und die muß ich jetzt in eine aktuellere Form bringen, die all die Erfahrungen miteinschließt, die ich bis jetzt habe machen können. Das sind Erfahrungen der Fremdheit, des Preises, mit dem Schönheit erkauft ist, wenn man sie nur als kommerzielle kennt, - das hört man alles mit, wenn man heute etwas Schönes produziert. Damals, als ich mit Alfred Harth die Kampflieder von Eisler improvisiert habe, wollte ich zu dem stählernen Pathos und der Motorik dieser Lieder Aspekte in die Improvisation einbringen, die darin nicht vorkommen: Berechnung, Zweifel, Niederlage, Humor, Angst, Rückschläge usw., einfache Erfahrungen, die die politischen Auseinandersetzungen hoffentlich inzwischen jeden gelehrt haben. Und genauso ist es mit den schönen Dingen. Auch die sollten nicht in dieser kitschigen Reinheit vorkommen, wie sie uns heute aus so vielen kommerziellen Produktionen entgegen schleimen, sondern so, daß sie tausendfach gebrochen sind mit anderen Erfahrungen. „Die letzte Buche“ ist 2.8. so ein Stück, das da genau auf der Kippe balanciert; das ist für mich in dieser Beziehung auch ein ganz schwieriges Stück gewesen, weil ich die Sentimentalität der erzählten Geschichte mit der Synthetik, der Härte im Rhythmus und anderen Elementen „angemessen“ machen mußte.

Leukert: Bisher hast Du das Politische Deiner Musik mehr vage umschrieben. Du hast von Freiräumen für Phantasie gesprochen und vom Widerstand gegen die Glätte. Aber das sagt eigentlich noch nichts über Dein politisches Bild.

- Trommeln gegen den Frieden -

Goebbels: Das ist auch unterschiedlich. Wenn ich mich z.B. zum Thema Startbahn West äußere, dann tu ich das doppelt: zum einen mit dieser Platte „Die letzte Buche“, die auch etwas Distanziertes hat, zum anderen habe ich das mit zwanzig anderen Leuten getan, indem ich fast akklamativ auf der Straße auf Ölfässern zusammentrommelnd reagierte. Mit einer Gruppe kann man in der Öffentlichkeit ganz anders reagieren als als Einzelner. Ich bin kein Solist und kein Liedermacher, der sich auf einer Demonstration präsentiert, der da singt oder eine Solo-Performance macht. Allein kann ich nur heim oder ins Studio gehen. Und es gehört für mich zur Wahrhaftigkeit, daß das auch hörbar wird, daß ich daraus keinen Hehl mache, daß ich allein im Keller im Playback-Verfahren so ’ne Nummer mache, daß das eben nicht eine offene Situation ist in einer politischen Auseinandersetzung, wo man mitten auf der Straße steht, hin und her diskutiert, für was Partei ergreift und dann Iosrennt. Die Situation, in der ich mich befinde, teilt sich notgedrungen im musikalischen Material mit. Sie teilt sich schon im Gestus mit. Auf der Demo in Wiesbaden trommelten wir auf den Tonnen gegen die Startbahn. Aber auf der Friedensdemonstration in Bonn war unser Trommeln Opposition gegen die Demonstration, weil wir den Eindruck hatten, daß das was unheimlich Religiöses, Harmloses. Friedliebendes, auch Naives hatte. Da wirkten die Tonnen als eine Provokation: viele Leute kamen und sagten, Krach ist auch Krieg, und dieses Argument warfen sie uns schreiend entgegen.

Leukert: Ich wollte Dich nach Deinen politischen Hoffnungen fragen.

Goebbels: Das hat mich noch nie jemand gefragt.

Leukert: Wir haben eine bürgerliche, repräsentative Demokratie, die sich auch mit quasi militärischen Mitteln gegen ihre Bürger wehren muß. Haben die Bürger Mittel dagegen?

Goebbels: Ja, ich denke schon. - Ich will mal an meiner Arbeit bleiben, damit das nicht so abstrakt wird. Die Kudamm-Platte ist ja auch eine Adresse an die Hausbesetzer. Die Militanz, mit der da vorgegangen wurde, hat ja für eine gewisse Zeit auch politische Erfolge gehabt: es gab einen Zeitraum, in dem über hundert Häuser besetzt/ bewohnt wurden. Das sind Mittel dagegen. Dabei soII nicht der Eindruck entstehen, als sei ich selbst einer von denen, die immer die Scheiben einschlagen. Dazu habe ich viel zu viel die Hosen voll. Und das Scheibenklirren ist ja auch am Anfang meines Stückes in einer ästhetisierend- ironischen Weise zu hören, und somit auch meine Distanz zu dem Vorgang. Ich weiß auch nicht, wer das Stück wie hört. Ich weiß nur von Rundfunk-Redakteuren, die das gesendet haben, woraufhin eine Redaktionskonferenz einberufen wurde, weil so ein Stück so unausgewogen sei.

Leukert: Du hast freilich wieder als Musiker gesprochen. Wie liegen die Chancen?

Goebbels: Es hat sehr früh - auch in der ökologischen Auseinandersetzung - unglaubliche Sprünge gegeben: plötzlich kamen massenhaft die Menschen aus allen Löchern und setzten sich für was ein, womit niemand gerechnet hat, eine unglaubliche Radikalisierung setzte ein, die ebenso unvorhergesehen wieder den Bach runterging.

Leukert: Du glaubst an die Sponti-Mentalität der Bürger?

Goebbels: Ich glaube, ich glaube wenig. —Ich kann das nicht in ein Credo fassen.

Leukert: Auch keine Hoffnungen?

Goebbels: Nein. - Ja, im Detail immer wieder. Aber gesamtpolitisch ist zur Zeit kein Anlaß, so etwas zu addieren und zu sagen: da und da haben wir schon, und da werden wirnoch. Sichergibt es im Detail viele Hoffnungen, im Großen erstmal keine.

Leukert: Darauf Iäßt die musikalische Sprache des jetzt erschienenen Albums nicht unbedingt schließen. Du, wie alle Mitglieder der neuen Gruppe „Cassiber“, Ihr seid auch vor diesem Projekt immer schon improvisierende Musiker gewesen. „Man or Monkey“ ist nun aber keine einfache Fortsetzung Eurer bisherigen Aktivitäten. Das Neue besteht nicht nur in der Kollektivimprovisation von rockmusikalischen Verlaufsmustern, sondern in der nahezu überrumpelnden Kraft, mit der einem diese Stücke entgegentönen. War die das verbindende EIement der gemeinsamen Vorstellung, ohne die Kollektivimprovisation gar nicht möglich ist?

Goebbels: Ja, das geho"rte dazu. Das entsprach auch dem Wunsch, bodenständigere und körperlichere Musik zu machen als wir sie bisher gemacht haben. Sie sollte eine unmittelbarere Kraft haben als die, die durch eine raffinierte Collage entsteht oder durch einen hintergründigen Witz. Zum anderen diente uns der ’politische’ Akt des Improvisierens, die entstehenden oder entstandenen Spannungen ganz direkt in Musik zu übertragen, aber wir wollten unbedingt die ungeheure Redundanz vermeiden, die normalerweise mit Improvisation verbunden ist, wenn Instrumentalgruppen und Solisten nacheinander Themen und Chorusse aufnehmen und abspielen. Deshalb haben wir versucht, unsere Improvisationslust in kommunizierbare Formen, d.h. in periodische Strukturen zu bringen, die durchaus den Strukturen von Songs, von Rockstücken verwandt sind, in denen auch das Detail Biß und Zugriff hat und dadurch öffentlich wirksam wird. Es geht bei uns nicht um Privatimprovisation. Wir haben uns spontan über Formen verständigen können. Wenn alle beteiligten Musiker genügend Formgefühl und auch genügend Reduziertheit aufbringen können, um sich hinter das Formangebot von jemand anderem zu stellen: das hat bei uns besser geklappt, als wir uns das vorgestellt haben.

Leukert Du hast von Spannungen gesprochen, die da direkt übertragen werden konnten; und die ausge- Iebte Aggression ist ja auch nicht zu überhören. Worin besteht denn der aktuelle Druck, der so was bei Euch erzeugt?

Goebbels: Es gibt natürlich einen persönlichen Druck, der sich vielleicht über die Art vermittelt, wie Christoph Anders singt. Es gibt einen persönlichen Existenzdruck, der gerade in diesem Sommer besonders hart zuschlägt. Es gibt eine Reihe von Beobachtungen sowohl im Bekanntenkreis als auch bei politischen Zuspitzungen wie im Libanon - über die Bilder, die wir aus Beirut übermittelt bekommen-, da hat man das Gefühl, es radikalisiert sich das persönliche Dasein der Betroffenen so, daß Sie daran zerbrechen. Das vermittelt sich hier privater, aber es bestimmte den Sommer: viele Leute sind in Urlaub gefahren und haben sich da verkracht usw. Da ist keine Sternenkonstellation für verantwortlich, wohl aber ein politisches Klima, eben Situationen, in denen sich persönlicher Existenzdruck zuspitzen kann. - Es sind auch viele wichtige Leute gestorben: Faßbinder, Brückner, - es gab einfach eine AkkumuIation auch ganz privater Probleme und gleichzeitig ein Anwachsen politischer Brutalität und eine Freimütigkeit von imperialistischer Propaganda. Der Reagan hat nichts mit meinem Nachbarn zu tun, aber man kann auch nicht bestreiten, daß es da Zusammenhänge gibt. Und in den Texten von Chris Cutler drückt sich sicher auch dieses Rückgeworfensein auf persönliche Existenzen aus.