21 August 2003, Patrik Landolt, Die Wochenzeitung
Interview (de)

Das Politische, das Vage und die Distanz

Mit "Surrogate Cities" und "Schwarz auf Weiss" komponierte Heiner Goebbels zwei Erfolgsstücke. Der Wanderer zwischen den Genres und Szenen weilt derzeit als Composer in Residence am Lucerne Festival.

WoZ: Sie stehen für einen neuen Komponistentypus, der von der freien Musikwelt im Grenzbereich zwischen Jazz und Pop her kommt und ein multimediales Musiktheater geschaffen hat. Hat Sie die Einladung als Composer in Ressidence ans traditionsreiche Lucerne Festival erstaunt?

Heiner Goebbels: Nein, ich kenne das Festival kaum und habe auch keine Berührungsängste. Für mich ist das eine willkommene Gelegenheit, endlich zwei meiner vielleicht wichtigsten Stücke, zum ersten Mal in der Schweiz zeigen zu können: «Schwarz auf Weiss» und «Surrogate Cities»

WoZ: Sie sindoft in Lausanne und Genf zu Gast. Haben Sie einen besonderen Draht zur Westschweiz?

In der Schweiz gibt es für mich die offenen Produktionsformen, die ich für meine Stücke brauche. Die Theater in Deutschland sind zusehr mit ihrer eigenen Schwerkraft beschäftigt. Sie haben die Gelder alle festgelegt in Verwaltung, Ensembles und Orchester. So gibt es für die Kunst kaum freie Mittel. Im Theater Vidy in Lausanne kann ich für jede Produktion andere Darsteller engagieren, und die Oper in Genf konnte sich sogar das Ensemble Modern leisten, weil sie kein eigenes Orchester hat. Wirklich Neues kann nur unter immer wieder neuen Bedingungen entstehen.

WoZ: «Surrogate Cities» und «Schwarz auf Weiss» sind Erfolgsstücke. Das eine ist Ihr erster Ausflug in die Orchestermusik, das andere Ihr erstes grosses Musiktheaterstück. Sie versuchen etwas Neues und holen sich gleich eine Nominierung für den Grammy. Ist die traditionelle Orchesterwelt so in der Krise, dass Innovation von einem Aussenseiter kommt?

Ich glaube, sie kommt immer von außen. Wenn man sich die Zeit lässt, aus der Distanz ein Terrain zu beobachten und sich seiner Arbeit aus dieser Entfernung nähert, sieht man viel schärfer die Probleme, Selbstläufer und die Fallen des jeweiligen Genres. Vielleicht sollte man von Zeit zu Zeit den Beruf wechseln. Ich mach das alle sieben Jahre.

WoZ: Ihre Stücke sind komplex, oft schwer durchschaubar und stossen trotzdem auf eine grosse Resonanz. Will das Publikum wieder gefordert sein?

Ich glaube tatsaechlich, es hat die ständige Unterforderung satt. Und meine Stücke sind zwar komplex gebaut, aber nicht um das Publikum einzuschüchtern, sondern um es immer wieder anders anzuregen. Wenn das mit Humor und Offenheit passiert, sehen und hören die Zuschauer ungeheuer viel und reagieren außerst differenziert - das ist zumindest mein Eindruck.

WoZ: Ihre erste Platte war eine Hommage an Hanns Eisler mit dem Titel «Vier Fäuste für Hanns Eisler». Letztes Jahr, zu Ihrem fünfzigsten Geburtstag, haben Sie eine CD mit dem Titel «Eislermaterial» veröffentlicht. Mit der kontinuierlichen Bezugnahme auf Hanns Eisler knüpfen Sie an die Musikgeschichte des Widerstands an. Ist das ein politisch bewusster Anknüpfungspunkt?

Zwischen diesen beiden Platten, also ca. zwanzig Jahre lange während der achtziger und neunziger Jahre, habe ich mich nicht mit Eisler beschäftigt. Erst bei der Arbeit an «Eislermaterial» wurde mir klar, dass er die ganze Zeit anwesend war. Zum Beispiel spiegelt sich in der engen Zusammenarbeit mit einem Autor, wie ich sie mit Heiner Müller hatte, Sierchaus die kompositorische Aufmerksamkeit für die Texte, die Eisler in seiner Zusammenarbeit mit Brecht entwickelt hatte.

WoZ: War der Bezug auf Eisler in den siebziger Jahren die Suche nach brauchbaren historischen Anknüpfungspunkten in der deutschen Musikgeschichte?

Für mich war das eine Entdeckung, dass Musik etwas mit politischen Ideen zu tun haben kann. Zunächst war für mich Musik und Politik strikt getrennt. Ich spielte abends in Rockjazzbands JohnMcLaughlin Stücke nach und diskutierte tagsüber in der Szene von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit im Häuserrat. Bestenfalls gab es politisches Liedgut, das wir mit einem «Mobilen EinsatzorKester» unter die Leute brachten. Erst in der Haltung Hanns Eislers konnte ich erleben, wie man diese so entfernten Welten, das Poltitische und Musikalische, in einer sinnlich spürbaren Weise miteinander verbinden kann. Ich habe daraufhin mein Soziologistudium mit einer Arbeit über Hanns Eisler abgeschlossen und gleichzeitig begonnen, Musik zu studieren. Natürlich gab es damals andere politische Komponisten wie Nono oder Henze. Aber mir leuchtete deren politische 'Erdung' nicht ein; jedenfalls nicht aus der Musik.

WoZ:Der Blick auf die politische Realität ist in vielen Ihrer Stücke bis heute präsent. Welches sind Ihre wichtigsten Erfahrungen, politischeund ästhetische Ambitionen zu verknüpfen?

Vor allem grosse Vorsicht. Die Verknüpfung von ästhetischen und politischen Inhalten kann nur dann gelingen, wenn alle Bedingungen stimmen. Nicht nur der gute Vorsatz und die Geschichte des musikalischen Materials spielen dabei eine Rolle, sondern der ganze Produktionsprozess ist wichtig. Wenn es an irgendeiner Stelle nicht stimmt, hört das jeder. «Eislermaterial» konnte ich zum Beispiel nur mit einem Ensemble realisieren, das selbstverwaltet ist. Ohne dieses starke Kollektiv wäre dieses Programm, das ohne Dirigenten auskommt und eine leere Bühne zeigt, die quasi das Publikum an der Produktion teilnehmen lässt, nicht stimmig und nicht machbar gewesen. Das kann man nicht von oben herab verordnen.
Vor zwei Wochen waren wir mit «Eislermaterial» in New York und sogar das amerikanische Publikum, das ich für wesentlich ungeduldiger und bildabhängiger gehalten habe, hat diese Intensität, mit der sich die Musiker das Material einverleibt haben, gespürt und gefeiert.

WoZ: Eisler war in den USA im Exil und wurde nach dem Krieg vom Ausschuß für unamerikanische Tätigkeiten aus dem Land vertrieben. Wie kommt heute Eisler in den USA an?

Das Echo war überwältigend. Ich habe den Eindruck, Eisler hatte seitdem er als Linker des Landes verwiesen wurde, nie wieder so eine Plattform wie mit unserem Auftritt beim Lincoln-Center-Festival. Die «New York Times» widmete ihm zwei ganze Seiten. Ich habe auch viele Leute kennengelernt, die noch mit Eisler gearbeitet haben: Zum Beispiel einen einundneunzigjähriger Sänger, der die erste USA-Tournee mit Eisler gemacht hat, und auch einige Kompositionsschüler, die uns erzählten, wie Eisler im Unterricht ihre Arbeiten kommentiert hat: «very bad, very very bad».

WoZ: Über den Produktionszusammenhang hinaus sind auch die Themen der Stücke politisch. Wählen Sie bewusst politisch relevante Themen?

Bei «Eislermaterial» stehen nicht die politischen Kampflieder im Vordergrund gestellt, sondern eher auch seine melancholischen Stücke aus der Zeit des Exils. Das Material rückt eher in eine Entfernung, damit die Zuhörer selbst die Chance haben, eine Nähe entdecken können: "Oh, das ist ja zwar fast wie im Museum, aber irgendwie berührt es doch". In den letzten Jahren machte ich oft die Erfahrung, dass sich eine Relevanz vielmehr dann einstellt, wenn die politische Realität eine Produktion einholt, als wenn man mit Kalkül und Zaunpfahl danach schielt. Die Hörstücke «Wolokolamsker Chaussee I-V» nach dem Text von Heiner Müller sind vor dem Mauerfall entstanden, kamen aber praktisch zeitgleich, vier Tage vor der Öffnung der Grenze zwischen BRD und DDR, zur Aufführung. So fiel dieses Stück auf einen Diskursboden von immenser politischer Brisanz. Die Oper «Landschaft mit entfernten Verwandten» habe ich komponiert unter dem Eindruck des 11. Septembers. Doch Durch den Irakkrieg in diesem Jahr bekamen die Texte, die ja alle sehr alt sind und nicht direkt auf die Aktualität zielen können - Texte von Gertrude Stein, T.S,Eliot und Leonardo Da Vinci - plötzlich politisches Gewicht. Als Künstler kann man nur beeinflussen, ob man an einem hermetischen Werk arbeitet, oder an einem Stück, das so offen ist, dass die Wirklichkeit auch ein Wörtchen mitreden kann.

WoZ: Liegt das Politische also weniger in der direkten Aussage, als in einer neuen Form der Kommunikation zwischen Musik, Theater, Oper und Publikum?

Ich möchte, dass meine Stücke den Blick nicht verengen, sondern erweitern. Das ist leichter gesagt als getan. Bekannter ist das Gegenteil: konventionell gebaute Theater- oder Operninszenierungen, die alle Möglichkeiten eines Textes oder einer Musik auf eine einzige Leseart reduziert. Die Lesart des Regisseurs.

WoZ:Sie schreiben in einem Text vom «Utopischen Theater», dass dem Publikum Raum lässt, eigene Erfahrungen einzubringen, zwischen den Tönen und Worten zu verweilen. Stellt Musik ein Angebot an Materialien und Strukturen zur Verfügung, womit sich das Publikum eine eigene Welt konstruieren kann?

Ich habe dieser Tage in Bert Brechts «Meti. Buch der Wendungen» eine schöne Passage über Erfahrung gelesen. «Unsere Erfahrung verwandelt sich sehr rasch in Urteile. Diese Urteile merken wir uns, aber wir meinen, es seien Erfahrungen. Natürlich sind Urteile nicht so zuverlässig wie Erfahrungen. Es ist eine bestimmte Technik nötig, die Erfahrungen frisch zu halten, sodass man immerzu aus ihnen neue Urteile schöpfen kann.»
Wenn man die eine Leseart eines Stückes schluckt, nützt sie nichts für andere Situationen. Ein Theaterabend muss Erfahrungen bieten, die in unterschiedlichen Situationen zu neuen Urteilen ermächtigen. Darum brauche ich diese Offenheit.

WoZ: Besteht nicht die Gefahr der Beliebigkeit, dass sich alle aus dem Stück aussuchen, was sie gerade mögen?

Ganz im Gegenteil: Erstmal versucht man natürlich in der Sorgfalt der Vorarbeiten und der Auswahl des Materials möglichst präzise zu sein. Außerdem geht es ja darum, an den Grund von Beobachtungen und Erfahrungen zu gehen. Diese sind aber komplexer als sie sich ein Einzelner ausdenken kann. Da ist mir die Summe der Erfahrungen der Zuschauer gerade groß genug. Wichtig ist mir außerdem Arbeitsbedingungen zu schaffen, in denen man keinen anderen Gesetzen unterworfen ist, als denen, die sich aus dem spezifischen Thema der Arbeit entwickeln.

WoZ: Sie haben Ihre frühen musikalischen Erfahrungen in der freien Szene gemacht -mit Alfred Harth, dem Linksradikalen Blasorchester, der Gruppe Cassiber. In den letzten fünfzehn Jahren ging der Weg hin zum Komponisten. Was führte zu dieser Entwicklung?

Das nicht ganz richtig. Auch während dieser freien Arbeiten, schon Ende der 70er Jahre, habe ich immer auch komponiert: zunächst für Film, Ballett,Theater. Aber meine 'eigene' Musik, die habe ich nur selbst aufgeführt. Aber als Improvisations-Musiker habe ich irgendwann realisiert, daß ich mir selbst doppelt beim Spielen zuschaue: Als Regisseur, der bessere Performer kennt, und als Komponist, der meine musikalischen Entscheidungen kritisiert. Das war natürlich zuviel. Unter solchen Bedingungen konnte ich nicht mehr drauflos spielen, und habe irgendwann Anfang der 90er - mit kleinen Ausnahmen - die Bühne nicht mehr als Spieler betreten.

Sie machen eine Gratwanderung zwischen neuen und alten Organisationsformen. Haben Sie als Anti-Autoritärer in der traditionellen Orchesterwelt keine Rollenprobleme?

Die Orchester sind dann am Besten, wenn sie nicht hierarchisch organisiert sind. Ich bin natürlich überglücklich mit den Berliner Philharmonikern oder mit dem Ensemble Modern arbeiten zu können; aber nicht nur, weil da die besten MusikerInnen spielen - es gibt viele Orchester mit hervorragenden MusikerInnen -, sondern weil diese selbst entscheiden, was sie tun. Das merkst Du, wenn Sie dem Kontrabassisten die Hand gibst oder mit der Oboistin sprichst. Du merkst, sie haben selber darüber entschieden, mit wem sie arbeiten und was sie als nächstes proben werden. Und so spielen sie dann auch.

WoZ: Welche Rolle spielt nun der Dirigent Simon Rattle bei den Berliner Philharmonikern?

Simon Rattle ist vom Orchester gewählt und geht sehr verantwortungsvoll mit seiner Position um. Wichtige EntscheiSiengen werden auch dort mit dem oder sogar vom Orchester getroffen: Welches sind die nächsten Projekte, wer spielt die erste Geige etc..

WoZ: In der Theaterwelt gab es diverse Experimente von Selbstverwaltung...

Irgendwie sind bei den grossen Theaterhäusern die Selbstverwaltungsmodelle weitgehend verschwunden. Obowhl das oft ihre beste Zeit war (Schauspiel Frankfurt in den 70ern, Berliner Schaubühne in den 80ern) Es ist erstaunlich, dass sich gerade in diesem Genre hierarchische und oft menschenverachtende Strukturen halten. Wenn man einen Intendanten sagen hört: "Hier wird besetzt, was Beine hat", weiss man, welche Art von Theater es zu sehen gibt und was der Ensemblegedanke heute wert ist. Man merkt es einer Aufführung an, ob der Regisseur oder der Dirigent ein Arschloch ist. Die Darsteller wachsen aber nicht durch Einschüchterung über sich hinaus, sondern Durch Spielräume und Motivation.

WoZ: Der Wechsel vom Improvisator zum Komponisten äussert sich auch an der Partitur. Wieweit bestimmt die Partitur Ihr Werk?

Ich versuche, soviel wie möglich zu notieren, auch wenn ich beim Schreiben oft ungeduldig bin. Aber die Notation bleibt unzureichend und die mündliche Überlieferung ist ausschlaggebend. Deshalb muß ich leider so viel reisen um bei den wichtigen Aufführungen dabei zu sein. In der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts haben leider alle Komponisten, die etwas auf sich halten, ihr eigenes Notationssystem erfunden. Das war nicht besonders produktiv. Vieles ist für die Aufführenden komplizierter geworden, als das musikalische Resultat dies rechtfertigen könnte. Ich habe den Eindruck, das führt bei den Musikern sogar zu einer gewissen Ignoranz gegenüber den Feinheiten der Notation.

WoZ: Freuen sich die Dirigenten, wenn der Komponist auftaucht und die Interpretation bestimmt?

Viele Dirigenten wollen das nicht. Aber mit denen habe ich glücklicherweise noch nie gearbeitet. Tatsächlich zählt im konventionellen Musikbetrieb der Komponist nicht besonders viel. Üblicherweise sind die Komponisten ja tot und verursachen keine Reisekosten. Die Geringschätzung äussert sich zum Beispiel darin, dass es selten ein Budget gibt, das es dem Komponisten erlauben könnte, bei den Proben dabei zu sein.

WoZ: Wieweit funktioniert die Notation beim Sampler?

Man notiert nur den Beginn und die Dauer des Abspielens. Der Sound lässt sich kaum notieren.

WoZ: Sie arbeiten mit unterschiedlichsten Medien, oder besser gesagt im Schnittpunkt der Medien: Komponierte Musik, Sampler, Licht, Sprache, Bewegung. Wie verknüpfen Sie die unterschiedlichen Mittel?

Ich versuche, die Verknüpfung immer wieder neu zu definieren. Mal ist sie illustrativ, mal melodisch/harmonisch - indem ein Geräusch die gleiche Tonhöhe hat wie die Trompete, die danach einsetzt. Eine andere Verknüpfung kann eher nach rhythmischen Kriterien verlaufen oder aber besonders disparat sein; Wichtig ist, daß sich die Prinzipien immer wieder unterscheiden und ein immer wieder anderer Blick auf das Material möglich wird. Ich suche ständig nach einer neuen Balance im Umgang mit Elektronik und live gespielter Musik.

WoZ: Welche Rolle spielt die Collagentechnik?

Wenn ich im dem Stück «Die Wiederholung» eine Passage von Brahms und Prince aneinanderfüge, sieht es vielleicht aus wie eine Collage. Damit das aber gelingt, damit es für den Hörer zwingend ist, ist ausschließlich wichtig, was in diesen Materialien und da wo sie aneinanderstoßen, klanglich passiert. Diese Scharnierstellen müssen ausgehört sein. Das Verbindende sind letztlich musikalische Momente. Ohne diese wäre es bloss ausgerissen und aneinandergeklebt.

WoZ: Der Bereich der komponierten Sprache ist immer noch Neuland, obwohl seit mehreren Jahren viele Theaterleute, etwa auch Christoph Marthaler, mit Musik im Theater experimentieren. Worin liegt die Herausforderung?

Es ist die Musikalität von Sprache, die mich fasziniert und Durch die ich jenseits des Gesanges noch etwas entdecken kann. Ich habe vielleicht auch eine physiologische Beschädigung. Ich kann niemandem zuhören, ohne mir sofort Gedanken über die Tonhöhe und den Singsang zu machen. Es gibt ja wunderbare Möglichkeiten, die Sprachmelodie auszunotieren, Frank Zappa oder nach ihm der kanadische Musiker René Lussier haben das gemacht. Im Zwischenbereich zwischen Oper und Schauspiel gibt es einen grossen unentdeckten Raum. Ich arbeite jetzt an einem neuen Stück mit kurzen Aufzeichnungen von Elias Canetti, in denen die Sprache aufs Kürzeste auf die Substanz reduziert ist und jeder Satz einzeln dasteht, damit er den nächsten nicht stört. Da heisst es: «Eine neue Musik erfinden, in der die Töne im schärfsten Gegensatz zu den Worten stehen». «Worte zersprengen, Worte vereinigen Sierch Musik». Die ReSiektion auf einzelne Worte zum Beispiel, auf ihren Klang und Rhythmus, ermöglicht es, Musik und Sprache ganz eng zu verzahnen

WoZ: Sie haben mit zahlreichen Texten von Heiner Müller gearbeitet. Was bleibt für Sie von Heiner Müller sieben Jahre nach seinem Tod?

Ich nehme seine Stimme immer mit - in "Schwarz auf Weiss" spricht er ja den Text von Edgar Allen Poe. Und ich entdecke bei den Reisen auch, wie die Texte von Heiner Müller neue Qualitäten gewinnen, wenn sie aus dem Kontext, in dem sie entstanden sind, und auf den sie immer wieder reduziert wurden, befreit werden. Wenn ich Stücke mit Müller-Texten in Kanada oder Japan aufführe, wo sie ohne die historische Befangenheit des Ost-West-Konflikts gelesen werden können, wird schlagartig klar, wie radikal und stark Heiner Müllers Sprache ist. Einfach ein großer Autor - neben Leuten wie Kleist, Büchner, Kafka.

WoZ:In einem Porträt in der englischen Zeitschift «The Wire» formuliert Nicolas Till, dass Sie mit Vorliebe mit Texten der Meister «der amerikanischen Paranoia» arbeitest (Edgar Allan Poe, Paul Auster, Thomas Pynchon), dass Ihre Textwahl apokalyptisch gestimmt ist, dass Angst eine ständig gegenwärtige Seite Ihrer Stücke ist.

Das Gegenteil ist der Fall. Für mich zeichnen sich die sogenannten «Paranoiker» dadurch aus, dass sie mit einem grossen schreibstrategischen Kalkül arbeiten und über Reflexion, Distanz und grossem Humor verfügen. «Schwarz auf Weiss» ist zwar ein Stück, das düster Edgar Allen Poes Stimmung des "Schattens" beschwört, aber gleichzeitig humorvoll und leicht ist. Vielleicht lese ich Dunkles auch, um mich davon wegzubewegen, abzusetzen; sicher nicht, um mich darin zu verlieren. Vielleicht interessiert es mich gerade deshalb, um es in eine Balance mit der Leichtigkeit zu bringen.

WoZ: Ein melancholischer Tonfall zieht sich durch viele Stücke...

Das ist kein Wunder; wenn man mal eine Pause macht, kommt der von ganz alleine...

WoZ: ...und auch die Suche nach poetischen Situationen.

Mich interessiert immer das, was ein bißchen vage bleibt; im Vagen liegt ein Moment des Poetischen. Zu jeder Kunst gehört doch, daß sich - trotz aller Interviews - nicht alles erklären läßt.