17 February 2001, Frankfurter Rundschau
Interview (de)

Lassen Sie uns über den Grammy reden

Warum sich der Komponist Heiner Goebbels ein Treffen mit Madonna entgehen läßt und weshalb er Fischers Putztruppe den Marsch geblasen hat.
Interview with Hans-Jürgen Linke and Mark Obert

FR: Herr Goebbels, für Ihr Stück Surrogate Cities erhalten Sie vielleicht einen Grammy, den Oscar der Musikbranche. Am 21. Februar fällt die Entscheidung. Was werden Sie in Ihrer Dankesrede den versammelten Popstars mitteilen? Heiner Goebbels: Ich fliege gar nicht zur Verleihung nach Los Angeles. Ich habe einen Tag vorher ein Konzert in London und danach eines in Basel, das wäre wohl nicht mal mit der Concorde zu schaffen. Traurig scheinen Sie darüber nicht zu sein? Man darf sich da nichts vormachen, die Grammy-Kategorie, in der ich nominiert bin - für die beste zeitgenössische Komposition - zählt ohnehin nicht zu den wichtigen. Soweit ich weiß, dürfte ich dafür nicht mal auf die Bühne. In die Situation, etwas ins Mikrofon stottern zu müssen, käme ich also gar nicht. Ihre Tochter, so war zu lesen, hatte sich schon auf Madonna und andere Größen der Pop-Szene gefreut. Madonnas Auftritt hätte mehr mich selbst interessiert. Meine Tochter mag lieber Eminem. Aber abgesehen davon glaube ich gar nicht, dass ich den Grammy bekomme. Rein mathematisch liegt die Chance bei eins zu vier. Und es gibt wohl auch einen gewissen Heimvorteil für die US-amerikanischen Komponisten, die ebenfalls nominiert sind. Igor Strawinsky und Pierre Boulez erhielten schon den Grammy. Wie ist die Aussicht, in diese Reihe großer Namen aufgenommen zu werden? Es ist schon schön zu sehen, wo meine Musik überall wahrgenommen wird. Besonders freut mich, dass ich für mein erstes großes Orchesterwerk nominiert bin. Sie gelten als Kommerz-Verweigerer unter den Neutönern. Da überrascht es, dass Sie sich mit dem Glitzerpreis Grammy überhaupt identifizieren können. Ich habe weniger Berührungsängste als viele meiner Kollegen - schon gar keine zur Popmusik. Ich denke auch nicht, dass kommerziell erfolgreiche Musik schlecht sein muss. Es gibt durchaus gut produzierte Popmusik, wo an einem Drei-Minuten-Stück zwei Monate gefeilt wird und das Ergebnis die Arbeit lohnt. Ich habe auch nie geglaubt, der schlechte Verkauf einer Platte sei ein Qualitätskriterium. Sie haben im Jahr rund 100 Aufführungen weltweit -oftmals auch in den heiligen Hallen der Hochkultur. Dabei sind Sie deren größter Kritiker. Wenn Sie Repertoire-Betriebe wie Oper und Stadttheater meinen, ja - weil ich in diesen schwerfälligen Institutionen nicht die Bedingungen finde, die ich für ein zeitgenössisches Musiktheater brauche und zum Beispiel mit dem Ensemble Modern habe. Meine Distanz zum subventionierten Kulturbetrieb bezieht sich jedenfalls nicht so sehr auf die Orchesterlandschaft. Surrogate Cities war sicherlich nur für und mit der Jungen Deutschen Philharmonie - als Auftrag zu deren 20-jährigem Bestehen vor sechs Jahren - möglich, und die Intensität, mit der die jungen Musiker damals zwei Wochen lang Tag und Nacht dieses Stück zusammengesetzt haben, war atemberaubend und hat zu der hohen Qualität der Aufnahme geführt, auf die sich die Grammy-Nominierung bezieht. Ich habe mittlerweile aber auch mit vielen anderen Orchestern gute Erfahrungen gemacht. Obwohl Sie in Surrogate Cities den meisten Ihrer Stücke mit Sampler und Lichteffekten arbeiten? Ja. Ich habe überrascht festgestellt, dass es tatsächlich bei den Orchestermusikern ein großes Interesse gibt, sich für diese Musik ins Zeug zu legen. Ein Kontrabassist in Bologna hat mal zu mir gesagt: "Maestro, das ist ja so schwer wie Mozart..." Vielleicht liegt das an Ihrem Sendungsbewusstsein, das Sie in der Sponti-Zeit entwickelt haben. Damals begannen Sie Ihre Karriere mit der Straßenmusik des "Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters". Ich habe damals Erfahrungen machen können, die mir heute noch nutzen. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass man über sein Stück mit Musikern diskutieren kann, ohne sich als Komponist eingeschränkt zu fühlen. Viele Ihrer Kollegen, Dirigenten wie Komponisten, halten von Demokratie in Orchestern wenig. In der Sponti-Zeit musste ich damit rechnen, dass es der Klarinettist bis zur nächsten Demo nicht packt, seine Stimme einzuüben. Also lernte ich abzuwägen, was wichtiger ist: die Idee oder das richtige Konzert am richtigen Platz mit den richtigen Leuten. Grundsätzlich offen zu sein für Anregungen der Musiker, ist eine der zentralen Erfahrungen dieser Zeit für mich gewesen. Umgekehrt müssen auch Orchester für Ihre mitunter unkonventionellen Methoden offen sein. Genau. Zum Beispiel wird bei den meisten meiner Konzerte das Orchester komplett mit Mikrofonen ausgestattet. Manchen klassischen Musikern ist das auch heutzutage noch unangenehm, da können sie sich nicht mehr hinter dem fünften Pult verstecken. Star-Dirigent Simon Rattle will, dass Sie ein Stück für ihn und die Berliner Philharmoniker komponieren. Werden die hohen Herren auch verkabelt? Das habe ich mir als Option in den Vertrag schreiben lassen. Bedeutet Ihnen der Auftrag von Simon Rattle mehr als der Grammy? Er bedeutet auf jeden Fall mehr Arbeit. Ich tue mich immer sehr schwer. Ich komponiere gar nicht so gern und brauche immer sehr viel Zeit. Ich weiß schon jetzt: Es wird ein furchtbar schwieriger Prozess. Es gibt ja Komponisten, die aus Lust komponieren, die sich jeden Tag an den Schreibtisch setzen und Noten aufschreiben. Das ging mir noch nie so. Deshalb arbeitete ich lieber nach Auftrag. Wie Bach und viele andere Ihrer berühmten Vorgänger. Den Altmeistern gingen die Vorstellungen ihrer Fürsten oft gegen den Strich. Fürchten Sie gar nicht um Ihre künstlerische Freiheit? Ich bin frei. Komischerweise ist mir Freiheit aber gar nicht so wichtig. Ich reagiere gerne auf Definitionen. Surrogate Cities beispielsweise schrieb ich zur 1200-Jahr-Feier der Stadt Frankfurt. Das war mir nur recht, denn so stand schnell fest, ein Stück über Großstädte zu machen. Die Freiheit, tun und lassen zu können, was man will, führt bei mir bloß zum Nichtstun. Herr Goebbels, für was oder wen würden Sie nicht schreiben? Ich sage nur zu, wenn alle Bedingungen stimmen. Ich brauche zum Beispiel Mitarbeiter und Produzenten, zu denen ich Vertrauen habe. Deshalb arbeite ich seit Jahren im Wesentlichen mit denselben Leuten zusammen - Schauspieler, Bühnenbildner, Toningenieure und Musiker. Würden Sie für die Industrie oder eine Partei arbeiten? Ich würde nie Werbung machen. Ich kann mir Propaganda bei meinem Nachnamen nicht leisten. In den 70er Jahren beflügelte Ihre Musik immerhin den Straßenkampf der Spontis. Wir Musiker wurden bei den Demos, wenn es hieß: "Die Bullen kommen!", auch schon mal in die erste Reihe geschoben, um mit dem Blasorchester die Stimmung zu heben. Mir als ausgemachtem Hasenfuß war das nie angenehm. Und die Steine von Fischers Putzgruppe flogen an Ihnen vorbei? Mitunter. Obwohl, wir haben ja neulich im Bundestag gehört, dass die Steine in die Luft geworfen wurden. Steine, die auf Polizeischilde prasseln, müssen Sie als Rhythmiker doch inspiriert haben? Dafür bin ich zu ängstlich, um in einer solchen Situation auf diesen bestimmt reizvollen Klang zu achten. Aber in einer späteren Komposition haben Sie den Klang eines Steins, wie er eine Vitrine zerstört, verwendet. Das war eine Vitrine auf dem Kurfürstendamm in Berlin; da war ich aber nicht dabei, das habe ich in einer Radioreportage gehört. Die Aufnahme von der Vitrine war authentisch? Ja, die wurde bei einer Demo zerstört. Dem Steinewerfer wurde anschließend von einem Zivilpolizisten eine Pistole an den Kopf gehalten, und auf der Tonbandaufnahme ist zu hören, wie der Polizist sagt: "Ich schieß', ich mach kein Spaß!" Als ich das hörte, wollte ich es musikalisch aufheben, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Einige Hörfunk-Redakteure, die das Stück dann senden wollten, bekamen massive Probleme. Einer musste gar beim Hörfunkrat vorsprechen. Lässt sich eine politische Haltung heutzutage noch mit Musik ausdrücken? Madonna singt: "Music makes the bourgoisie and the rebel..."