8 June 2013, Axel Hill, Kölnische Rundschau
Interview (de)

Irritation kann glücklich machen

Der Leiter der Ruhrtriennale Heiner Goebbels über das Festival und seine Schwerpunkte

Bevor am 23. August die Ruhrtriennale eröffnet wird, stellt Intendant Heiner Goebbels (60) sein Programm in verschiedenen Städten vor, darunter Köln. Mit Axel Hill sprach er über beglückende künstlerische Erlebnisse und das Einschlafen im Theater.

Warum stellen Sie das Programm in Köln und anderen Städten vor?

Wir versuchen neues Publikum zu gewinnen, das vielleicht durch die Entfernung zu unseren Spielstätten etwas abgeschreckt wird. Hinterher hört man ja immer 'wenn ich das gewusst hätte, wäre ich gekommen'...

Sie sind im zweiten Jahr als Ruhrtriennale-Intendant. Gibt es Lehren aus der Startsaison?

Fehler haben wir wohl tatsächlich kaum gemacht, sicher wegen des erfahrenen Triennale-Teams. Und wir waren selbst überrascht über die große, auch internationale Resonanz. Es gab zusätzlich zu dem Publikum aus der Region, das mit dem Festival vertraut ist, Professionelle, Journalisten und Zuschauer aus 25 Ländern - aus Amerika, Asien und natürlich aus ganz Deutschland. Ich wurde vorher ein bisschen gewarnt, weil ich versucht habe, stärker auf die Innovation, stärker auf das zu setzen, was man noch nicht kennt - mit einer gewissen Distanz zum Repertoire, das man in dieser kulturell reichen Region überall sehen kann. Aber offenbar ist man gerne - zumindest
einmal im Jahr - durchaus bereit, neue künstlerische Erfahrungen zu machen.

Klassische Oper, klassisches Theater zeigen Sie nicht. Geht es dabei um ein Austesten der Grenzen der Gattungen?

Es geht vielmehr darum, dass sich mehrere Kunstformen berühren, auf eine unvorhergesehene und unvorhersehbare Weise. Gerade hier sind vielleicht die stärksten, irritierendsten, aber auch befreienden Erlebnisse
möglich. Im Programm finden sich viele Doppelbegabungen: Komponisten, die auch bildende Künstler sind. Choreographen, die Installationen entwerfen. Performer, die mehrere Disziplinen beherrschen. Ich kann aus meiner eigenen Publikumserfahrung sagen: Wenn ich mich nicht mehr auf das verlassen kann, was sich vor mir abspielt, wenn ich keinen Begriff mehr dafür habe, was ich gerade erlebe, ist das vielleicht das beglückendste künstlerische Erlebnis.

Wie würden Sie die zentrale Idee des Festivals in diesem Jahr beschreiben?

Die gibt es Gott sei Dank gar nicht, ich hasse Festivals mit zentralen Ideen. Ich hasse allen Zentralismus. (lacht). Aber Schwerpunkte stellen sich heraus - in dem, woran die Künstler, die ich einlade, gerade arbeiten. Stärker als 2012 sind es zum Beispiel in diesem Jahr immersive, installative Arbeiten, die den Zuschauer in den Mittelpunkt stellen und partizipieren lassen. Arbeiten von Douglas Gordon, William Forsythe, Ryoji Ikeda, Rimini Protokoll oder meine eigene Arbeit "Stifters Dinge". Ein anderer Schwerpunkt ist das Verhältnis von Ton zum bewegten Bild - auf den verschiedensten Ebenen. Zum Beispiel auch bei Massive Attack, die für uns mit einem britischen Filmemacher zusammenarbeiten.

Sie selber führen Regie bei Harry Partch' "Delusion of the Fury" - was hat sie an diesem Projekt, an diesem Stück fasziniert?

Ich bin Harry-Partch-Fan seit den frühen 80ern, obwohl er hier immer noch ein Geheimtipp ist, weil man kaum ein Konzert mit seiner Musik erleben kann. Er hat seine eigenen Instrumente gebaut und die sind nun einmal in den USA. Damit seine Musik, die sehr humorvoll, poetisch, sehr spielerisch und ganz unakademisch ist, aber
auch in Europa gespielt werden kann, haben wir mit dem Ensemble musikfabrik dafür gesorgt, dass die Instrumente nachgebaut werden. Diese Oper ist, glaube ich, nur der Anfang einer anhaltenden, nachhaltigen
Möglichkeit, seine Arbeiten in Europa erst bekanntzumachen.

Im Editorial zum Programm äußern sie Skepsis gegenüber Politik auf der Bühne und bekennen sich zu einem Theater als "einer Erfahrung mit allen Sinnen". Gibt es deshalb auch viele Inszenierungen an so reizvollen Orten wie Schacht XII oder der Mischanlage?

Es ist von Beginn der Ruhrtriennale an das Konzept, die Kräfte, die in den Räumen lauern, nicht zu unterschätzen. Vor einem Raum, der selbst so eine große Ausstrahlung und Geschichte hat, wie zum Beispiel
die Kraftzentrale, wäre jedes politische Statement und missionarisches Getue lächerlich. Man muss alle politischen Ambitionen, die man hat - und die viele Künstler haben - übersetzen in die Sprache der Künste.

Im letzten Jahr gab es ja die erstaunlich Auslastung von 85 Prozent. Wollen Sie die steigern?

Ehrlich gesagt kümmere ich mich da gar nicht drum. Ich lade spannende Arbeiten ein, und bin davon überzeugt, dass sie voraussetzungslos erfahren werden können.

Trotzdem könnte es Leute geben, die Ihr Programm elitär finden. Was würden Sie denen entgegnen?

Dass unsere Festivaljury im Schnitt zwölf Jahre alt ist. Und wenn die das schaffen, sich das alles anzuschauen, zu bewerten und daraus anders hervorzugehen, kann das jeder Erwachsene auch. Das Programm ist nicht elitär, weil wir ja nicht auf einen bildungsbürgerlichen Vorteil setzen, bei dem man ein Reclam-Heft gelesen haben muss.

Eine der Kategorien der Kinderjury ist ja ""die Show, in der ich eingeschlafen bin". Inwiefern haben die Ergebnisse Ihren eigenen Blick noch einmal verändert, so dass man sagt, gut, vielleicht war das wirklich zum Einschlafen?

Einschlafen ist ja nicht nur etwas Schlechtes. Das kann mir durchaus auch mal in einer Aufführung passieren. Heiner Müller hat mal gesagt, in schlechten Aufführungen könne er nicht schlafen, da müsse er sich nur ärgern.

Grausame Frage an den Festivalmacher, der alle seine "Kinder" liebt: Welche drei Ruhrtriennale-Veranstaltungen darf man 2013 auf keinen Fall verpassen?

Die "Situation Rooms" von Rimini Protokoll. Außerdem Helmut Lachenmanns Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern", inszeniert von Robert Wilson. Und natürlich "Stifters Dinge".