02/1987, Elisabeth Loibl, Falter
Interview (de)

An andere Grenzen kommen

Im Gespräch mit Heiner Goebbels

Er macht die Bühnenmusik für Peymanns Richard III, der eben am Burgtheater Premiere hatte. Genauso gastiert er mit „Cassiber“ oder als Teil des Duos Goebbels/Harth im subkulturellen Bereich. Elisabeth Loibl und Fritz' Ostermayer sprachen mit Heiner Goebbels über musikalische Herstellungsprozesse.

Falter: Wie wichtig ist Dir heute noch der Begriff Dilettantismus?

Goebbels: Was Ende der 70er. An- fang der 80er in der deutschen „Dilettanten-Musik“ entstanden ist. wie ‚.Fehlfarben". oder „Neubauten". oder ..Tödliche Doris". oder auch „Wirtschaftswunder“. war vor allem sprachlich fu'r mich spannend Wie die mit Sprache und auch mit der Reduktion von Sprache umgegangen sind. hat mich damals sehr angeregt. Es gibt z.B. so einen Song von „Wirtschaftswunder“. der hieß “Metall“ und da hat der italienische Sänger — er lebt in Deutschland —— einfach mit seinem starken italienischen Akzent nur „ich liebe Metall" gesungen - und hat mir aber durch diese Konstellation von Musik und Aussprache extrem viel erzählt. Ich will das jetzt nicht überspannen. aber man kann sagen. bis hin zur Emigrantenproblematik. Das kommt daher. daß man als Zuhorer bei so einer Textreduktion einfach schlauer sein kann. Man kann daran seine Phantasie entzünden. Dagegen wenn ein Liedermacher mir zwölf Strophen vorsetzt. dann kann ich versuchen.je nachdem wie gut er ist. oder wie an- spruchsvoll er ist. gerade hinter- herzuhecheln und am Schluß viel- leicht die Story zu haben. Viel- mehr kann ich nicht damit machen. Das wurde mich als Vor- gang also nicht so interessieren. weil er im wesentlichen aus Belehrung und Bevormundung be- steht.

Falter: Du redest sehr gern über Literatur. Du hast Jandl, Hölderlin, Müller vertont... Mir fällt eigentlich neben Mike Westbrook und seinen Rimbaud Projekten kaum sonst jemand ein, der sich so sehr mit Texten oder Literaturvorlagen beschäftigt.

Goebbels: Wobei das ganz merk- würdig ist. denn ich lese relativ wenig. und mir gefallt vor allem noch viel weniger. Ich bin immer wieder auf der Suche nach Texten und es gibt eigentlich nur ganz wenige Sachen. bei denen ich das Gefühl habe. hier ist wirklich je- des Wort richtig, da stimmt die Form. da bringt mir die Form auch noch etwas Zusätzliches über den Inhalt. und ich kann den Text z.B. auch auseinandernemen. ohne daß er mir dann zwischen den Fingern zerfäIlt. Des- wegen ist mir Hölderlin so wichtig. und Brecht vor allen Dingen. der als Librettist. also als ein Autor. der mit musikalischen Ka- tegorien gearbeitet hat. immer noch total unterschätzt wird. Auch die Lehrstucke werden im- mer nur vom Theater her begn’t'v fen und nie von der Musik. Da. glaube ich‚ ist noch ganz viel zu entdecken. speziell bei Brecht und Heiner Müller.

Falter: Bei Eisler ja auch und seiner Art und Weise. Texte einzurichten

Goebbels: Ja. und Kafka. Kafka ist einer der Autoren. zu denen ich Zugang habe. aber sonst nicht zu vielen.

Falter: Und wie wichtig ist Dir heute noch die Improvisation". Goebbels:Musikalische Improvisation ist für mich in zweierlei Hinsicht wichtig. Zum einen. um eine Vitalität oder Unmittelbarkeit im Spiel zu behalten oder zu gewinnen. Und zum anderen um klanglich an andere Grenzen zu kommen. Wenn ich alles vomontiere oder mir den Spielraum nicht lasse. dann komme ich. be- sonders bei der Ausbildung. die unsere Musiker haben. nicht an so einen Intensitätsgrad. wie ich ihn bei den improvisierenden Musikern finde. Und das OptiA mum finde ich mit Musikern. die 'schr stark mit lmprovisation arbeiten. aber trotzdem ein hohes Struktur— und Formbewusstsein.

Falter: Und woher kommt Deine Liebe zum Fragmentarischen. zum Hörspiel. zur Collage? Siehst du da eine Verwandtschaft zum Zornschen Spiel?

Goebbels: Ja. das sicher auch. Die Verwandtschaft zur Zornschen Arbeit liegt vor allem in der Anregung. die Filme für mich bedeuten. Ich bekomme im Moment als Komponist viel mehr Anregung von Filmen. also auch von Filmtechniken. von Rückblenden. von der Erzählweise. von der Wirkung von Filmen. von der ganzen Schneidetechnik. als von der modernen Musik. Und ich Wünsche mir immer. daß die Komponisten im Grunde so arbeiten wie die Filmemacher. daß sie genau wissen. was sie erzählen wollen und auch versuchen. sich die Mittel auf dem Wege dahin genau zu überlegen Improvisierende Musiker sind in der Beziehung leider oft zu faul. sich wirklich bis zum Ende konzeptionelle Gedanken darüber zu machen. Mich interessieren eigentlich die Geräusche da. wo sie eine eigene Semantik. einen Bedeutungszusammenhang haben. den man auch in die Semantik einer musikalischen Erzählung einbauen kann; z.B. bei meinem ‚.Q‘damm“ sind das dann die Scheiben. und wenn man eben 1981 eine eingeschlagene Scheibe benutzte. dann war klar. was man damit meinte. Das ist jetzt schon wieder anders.

Falter: Was kann uns Hans Eisler mit ..Fortschritt und Zurücknahme" heute noch vermitteln?

Goebbels: lch habe natürlich vor 10 Jahren sehr viel von seinem Material bearbeitet. Das tue ich heute nicht mehr. Aber was mich nach wie vor immer sehr anregt. ist sozusagen eine Art ..dialektisches" Komponieren. was letztlich auf ihn oder auf Brecht rückführbar ist. Das heißt z.B. wenn ich eine Filmmusik mache: nicht den Klischees zu entsprechen. die mir zunächst einmal einfallen!

Falter: Ware Morricone so ein Klischee?

Goebbels: Morricone ist schon viel intelligenter.

Falter: Aber er unterstützt doch die Bilder auf eine sehr undialektische Weise.

Goebbels: Morricone halte ich für raffinierter von Morricone können wir sogar noch etwas lernen. Mit der Dialektik beim filmmusikalischen Komponieren meine ich ja nicht, intellektuelle Musik zu machen. Ich will schon, daß die Musik eine Wirkung hat oder auch eine Atmosphäre. genauso wie wenn ich Theatermusik mache. Ich versuche nicht, schlauer zu sein als das Bild und das auch zu zeigen mit einer Musik, die nur einen Zeichencharakter hat, und wo man dann sagt, aha, der Komponist meint das, deswegen zitiert er das. Und es gibt sicher auch Punkte bei Eisler, die ich persönlich. emotional nicht so spannend finde. bei denen ich denke. daß man von Morricone lernen kann. weil er eben über sein Wirkungsrepertoire sehr virtuos verfügt. 95 Prozent der Filmmusiken sind da einfach viel dummere und viel klischiertere Arbeiten. Zunächst. wenn man sich einen Film am Schneidetisch an- schaut. reagien man natürlich erstmal innerhalb der Klischees. die man verinnerlicht hat. Da denk ich immer gerne an Eisler. um dem widersprechen zu kön- nen. damit mir etwas Zusätzliches einfällt. Und ich versuche. die Vitalität oder die Musikalita't. die Eisler auch hatte. nicht zu verlieren. auch wenn meine natürlich in einer anderen Zeit einer anderen Ästhetik verpflichtet ist. Im konzeptionellen Denken gibt es für mich immer noch Anregungen.

Falter: Die „Dummheit in der Musik“. die Eisler thematisiert hat. findet man also heute weniger. selbst bei kommerziellen Produktionen?

Goebbels: Sie sind mit großem Raffinement gemacht. Die Intelligenz ist im Grunde auf die Ausstattung beschränkt. Inzwischen wird natürlich bei jeder halbwegs spannenden Disco-Produktion —— und ich geh gerne tanzen und hor das auch gerne — mit Geräuschen von Sample—Computern ge- arbeitet. Aber sie werden eben völlig beliebig und dekorativ verwendet. Und in dem Maße. in dem uns technisch mehr zur Verfügung steht. in dem müssen wir auch inhaltlich genauer sein und z.B. über die Semantik der Geräusche genauer nachdenken und wissen, warum wir sie einsetzen Das ist ein Punkt. der sich in der nächsten Zeit wahrscheinlich entscheiden wird. daß einfach das konzeptionelle Komponieren einen viel größeren Raum einnehmen muß. weil musikalisch und technisch im Grund alles zur Verfügung steht.

Falter: Hanns Eisler hat in seinem Gespräch mit Bunge ja auch sehr schon den Brecht'schen V-Effekt erklärt: nichts anderes als eine konzeptuelle Zerlegung der Gesamtheit sinnlicher Sensationen in seine einzelnen sinnlichen Effekte. so daß jeder sinnliche Impuls für sich wahrnehmbar wird.

Goebbels: Das ist ganz wichtig Ich habe jetzt vor kurzem für eine Vortragsreihe in Brasilien noch mal den Brecht gelesen und was er formuliert als „Trennung der Elemente" für Filmmusik oder für Bühnenbild. das habe ich jetzt noch einmal auf eine für mich sehr produktive Weise gesehen an der „Hamletmaschine". wie sie Robert Wilson in Hamburg inszenient hat: Er hat relativ unabhängig voneinander mit den Schauspielem auf der Szene ein Hörspiel und einen Stummfilm inszeniert. die. einem bestimmten musikalischen Zeitmaß folgend einen Text von Heiner Müller sprechen. schreien. singen. Wilson formuliert es so. daß praktisch der optische Raum bei einem Hörspiel unendlich ist. so wie beim Stummfilm der akustische Raum unendlich ist. Zu dieser Sprachbehandlung sind eben sehr autonom szenische BiIder entwickelt. Das Verfahren hat mich eigentlich sehr angeregt. und das ist eine Erfahrung. die ich aus Vorführungen von meinen Hörstücken. die ich mehrmals in Kinos gemacht habe. auch kenne: daß das sehr anregende Diskussionen — wie Kinovorführungen —- waren. Mir war es wichtig. das in Kinos zu ma- chen. weil dadurch der Anspruch. ‚.optisch“ beim Hörer etwas in Gang zu setzen. während man ein Hörstuck hört, noch auf eine andere Weise deutlich gemacht wird. als wenn man das zu Hause im Radio hort und dabei Zeitung liest.

Mich interessieren die Bemühungen von Peymann um eine realistische Sprache auf dem Theater.

Falter: Kannst Du Dir Deine Kompositionsaufträge fürFilm und Theater nach Lust und Laune und Interesse aussuchen oder ist das Deine Brotarbeit?

Goebbels: lch kann es mir im Moment leisten, das nicht so zu entscheiden, weil ich lange genug Theatermusik gemacht habe. In den letzten 4-5 Jahren mache ich vielleicht im Jahr noch eine Theatermusik. mehr nicht. Die kann ich mir aussuchen und ich suche sie mir danach aus. ob die Produktion mit dem Punkt zu tun hat. an dem ich im Moment für mich selbst gerade arbeite.

Falter: Da schließt es sich aber nicht aus. daß Du mit Heiner Müller z.B. gerade an einem Punkt angelangt bist. an dem konventionelle Theaterarbeit gesprengt wird und dal3 Du mit Claus Peymann für eine Burgtheater-Produktion zusammenarbeitest‘.’ Goebbels: Nein. nein. weil Shakespeare ein anderer Text ist. Mich interessieren gerade sehr die Be- mühungen von Peymann um eine realistische Sprache auf dem Theater — selbst bei Texten. die 400 Jahre alt sind. Weil die falsche Überhöhung und der falsche Druck. der in der Regel auf der Theatersprache lastet. schuld ist. daß ich der Theatersprache so Vt enig zutraue.

Falter: Was ist nun Deine Arbeit als Theatermusik-Komponist? Schaffst Du einen Spannungszusammenhang?

Goebbels: Zum Beispiel bei einer Schlachtszene. Da ist es z.B. für mich wichtig. d i e Musik herzustellen. die soviel Kraft entwickelt, daß die Schauspieler sie nicht mehr pantomimisch darstellen müssen. Das heißt. eine Musik herzustellen. die es ihnen er- möglicht. im Bild einen Schlachtzusammenhang herzustellen, ohne daß sie sich gegenseitig die Köpfe dabei blutig schlagen mu's- sen.

Falter: Ich habe tn' der „Hermannsschlacht". zu der Du ja auch die Musik gemacht hast. Momen» te aus .‚Q'damm" wahrgenommen. Dabei habe ich nie auseinanderhalten können. ob das Klirren der Rüstungen in der Pantomime dieses schwankenden Schlachten-Schiffes, von der Bühne herkommt. oder ob das Teil der Bühnenmusik ist. Goebbels: Mich interessiert, daß eine Bühnenmusik in ihrer Dimension immer an die Bühne angebunden ist und sich nicht verselbständigt, damit Du nicht weißt, ob es klirrende Rüstungen sind, oder ob es die Bühnenmusik ist. — Weil Du ansprichst. ob das Cassiber-Elemente hat: Ich arbeite seit 10 Jahren in zwei Bereichen. Ich nenne das jetzt mal den eher subkulturellen Bereich mit Konzerten in Jugendzentren und mit Cassiber oder auch mit dem Duo Goebbels-Harth‚und eben für Film und Theater. und ich kann positiv sagen, daß beide Bereiche immer gegenseitig sehr produktiv füreinander waren. Ich habe viele Erfahrungen, die ich auf dem Theater gemacht habe. über den Funktionszusammenhang und die Bildhaftigkeit von Musik. in meine musikalische Arbeit eingebracht. Und umgekehrt waren für mich natürlich die Erfahrungen der Intensität, die ich bei meinen Konzerten mache. mit dem Blasorchcster oder mit Cassiber sehr wichtig für die Theatermusik.

Falter: Wie geht so eine Zusam- menarbeit am Theater praktis'ch vor sich? Geht die Arbeitsteilung so weit. daß die Bereiche auto- nom ihre Arbeit leisten und in einem fortgeschrittenen Stadium zusammen kommen oder gibt es mehr Kooperation?

Goebbels: lch versuche schon sehr viel in den Proben zu entwickeln. Gerade weil mir wichtig ist. daß die Dimensionen von Musik und Bühne stimmen müssen. kann ich das eigentlich am Schreibtisch oder im Studio zu Hause gar nicht in dem Maße klaren, Die Zusammenarbeit mit Peymann ist insofern gut, weil er auch immer als Unsicherer eine Probe beginnt. also die fertige Lösung nicht schon parat hat. sondern aus der Arbeit entwickelt. Und dann schmeißt man auch mal ein Band weg oder nimmt fu'r einen Schauspieler noch etwas dazu. Andererseits mache ich mir aufgrund von Vorgesprächen. durch das Lesen des Stücks. wenn man das Bühnenbild gesehen hat. oder wenn man die Schauspieler kennt. bestimmte klangliche Vorstellungen. Wenn ich z.B. bei „Richard III.“ vom Instrumentarium her eine bestimmte Harte an den Tag legen will. weil mich die an dem Stück interessiert. dann sind das natürlich Entscheidungen. die schon sehr früh fallen. Falter: Was bedeutet das für die Produktion dieser Musik. wie kommt die zustande?

Goebbels: Oft entstehen meine spannendsten Sachen dort. wo ich sie nicht direkt füreinander plane. Z. B, habe ich in dem Hörstück „Die Befreiung des Prometheus" Stücke verwendet. die aus einem anderen Zusammenhang. in einer ganz anderen Zeit ent- standen sind, und die dann so gut dazupaßten. daß ich dachte. das ist so platt. das kann ich gar nicht machen: weil sie strukturelle Gemeinsamkeiten hatten. Ich bin an sich nicht abergläubisch. aber ich vertraue sehr stark auch so einer intuitiven Kreativität.

Falter: Danach kommt aber die Phase des bewußten Bearbeitens?

Goebbels: Ja natürlich. das muß man konzeptionell absichern und überprüfen. Aber wenn man zu eng für etwas arbeitet, wird auch nicht genügend Kreativität frei: deswegen sind auch Umwege nötig, ein Vergessen des Zusammenhangs oder eben ein ganz formales Festhalten: Wenn mich z.B. eine bestimmte Farbe in dem Bühnenbild von Karl-Heinz Herrmann musikalisch mehr anregt, als das Stück zu Ende zu lesen ...

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