5 September 2002, Patrik Landolt, Die Wochenzeitung
Review (de)

"Eislermaterial" und "Komposition als Inszenierung" - Herzergreifend, befremdend

Der Komponist Heiner Goebbels stellt eine Hommage an Hanns Eisler vor. Gleichzeitig erscheint ein Sammelband mit Texten von und über Goebbels: 25 Jahre musikalische Innovation. Die Klänge von Heiner Goebbels' neuer CD «Eislermaterial» rufen wie ein «Hörfilm» die Bilder der seinerzeitigen Aufführung in Erinnerung: eine fast leere Bühne, in deren Mitte ein Bücherturm mit einer winzig kleinen Statue von Hanns Eisler steht. An den drei Bühnenrändern sitzen nebeneinander die MusikerInnen des Frankfurter Ensemble Modern auf einfachen Holzbänken. Ein kleiner Orchesterkörper von sechzehn MusikerInnen ohne Dirigenten. Dezent ausgeleuchtet wirkt die Bühne und die Anordnung der Musiker transparent und schlicht. Und dann diese unvergessliche Stimme: Der Schauspieler Josef Bierbichler singt die Lieder von Hanns Eisler leise mit zerbrechlicher Fistelstimme. Die mit einem umfangreichen Booklet veröffentlichte CD «Eislermaterial» hält einen Live-Mitschnitt aus dem Berliner Hebbel-Theater von 1998 fest. Heiner Goebbels hatte für das Eisler-Jubiläumsiahr aus unterschiedlichen Materialien von Hanns Eisler einen grösseren kompositorischen Ablauf gemacht, in dem Lieder von Eisler neben eigenen Arrangements, freien Improvisationen und Montagen aus Originaldokumenten mit Eislers Stimme stehen. Seit langer Zeit hat sich Goebbels intensiv mit Hanns Eisler auseinander gesetzt. Schon seine erste Platte vor 25 Jahren trug den Titel «Vier Fäuste für Hanns Eisler». Immer wieder spielte und interpretierte Goebbels Lieder von Eisler, sei es mit dem Sogenannten Linksradikalen Blasorchester der siebziger Jahre, im Duo mit dem Saxofonisten Alfred Harth, mit der Sängerin Dagmar Krause oder der experimentellen Rockband Cassiber. NIcht nur die Kompositions- und Spielweise von Eisler haben Goebbels beeinflußt, auch Eilsers Denken und Haltung. Wie Eisler hat Goebbels lange Jahre fürs Theater komponiert (unter Peter Palizsch) und aus aussermusikalischen Bereichen Inspirationen für seine Musik geholt. Auch für Heiner Goebbels gilt der von Eisler geäusserte Satz, dass jemand, der nur von Musik etwa versteht, davon auch nichts versteht. Wie Eisler hat auch Heiner Goebbels die eigene künstlerische Arbeit kritisch reflektiert -mit Texten, Interviews, Diskussionen - und in Relation zur Gesellschaft gestellt. Und: Wie Eisler hat sich Heiner Goebbels mit populären Musikformen auseinander gesetzt, um eine Musik zu spielen, die ankommt, verstanden wird und dennoch avanciert ist. Goebbels hat bei Eisler den Anspruch übernommen, in der Musik Intellekt und Emotion, Herz und Kopf zu verbinden. Im erneuten Umgang mit dem Material von Hanns Eisler stellte sich Heiner Goebbels die Frage nach der heutigen Aktualität und Bedeutung von dessen Musik. Heiner Goebbels: «Wie macht man eine Hommage, die einerseits nicht museal ist - denn natürlich sind Eislers Stücke in einer bestimmten Zeit mit einem oft sehr konkreten politischen Hintergrund entstanden -, und wie verheimlicht man trotzdem nicht die Entfernung, die man dazu hat?» Heiner Goebbels betont in einem im Booklet veröffentlichten Gespräch mit den Musikerinnen des Ensemble Modern, dass er für dieses Projekt einen sehr persönlichen Zugang gewählt habe. Dabei stellte er nicht die kämpferischen Lider in den Mittelpunkt, sondern interpretiert auch solche aus der Zeit des Exils. Es sind wunderschöne Lieder, die in der Interpretation Bierbichlers eine melancholische Stimmung ausdrücken, genährt aus den Erfahrungen eines Jahrhunderts politischer Niederlagen und dem Verschwinden der politischen Utopien, für welche die Generation Hanns Eislers gekämpft hatte. Heiner Goebbels: «Wichtig war für mich, dabei weder so zu tun, als habe sich seitdem nichts verändert, noch, als würde uns das alles nichts mehr sagen. Eher: dem Hörer die Entdeckung einer möglichen Nähe nicht durch eine vorgebliche Aktualität zu verstellen.» Die geniale Wahl des Schauspielers Bierbichler als Sänger der Eisler-Texte ist charakteristisch für Heiner Goebbels, der mehrmals Aussenseiter für seine Projekte verpflichtet hat und so in vielerlei Hinsichten neue Zugänge geschaffen hat. Mit Bierbichler fühlt Goebbels nicht nur dem Gesangsgestus von Eisler selbst nach, sondern er nimmt durch die «Unprofessionalität» Bierbichlers dem Gesang jede Gekünsteltheit und jedes nur denkbare Pathos. Bierbichlers Eisler-Lieder wirken herzergreifend und befremdend zugleich. Dies öffnet Erfahrungsräume und neue Interpretationsebenen. Ein umfangreiches, sehr schön und sorgfältig gemachtes Buch mit dem Titel «Komposition als Inszenierung», das dieser Tage zum 50. Geburtstag von Heiner Goebbels erschienen ist, zeichnet den Weg des Musikers nach und bietet umfangreiches Reflexionsmaterial zu den Werken und Arbeitsbereichen von Heiner Goebbels. Das Buch führt die Offenheit, Innovationskraft und Intelligenz Heiner Goebbels' vor Augen, dessen Hörstücke, Musiktheaterstücke, szenische Konzerte oder musikalische Installationen zu den bedeutenden Errungenschaften der Neuen Musik und des heutigen Theaters zählen. Die meisten Texte stammen aus der Feder von Heiner Goebbels selbst. Mehrere Texte, die in diesem Buch gesammelt sind, hat Heiner Goebbels für die WoZ verfasst, etwa die Hommage an den Schriftsteller Heiner Mülller oder den Essay «Never Play a Reggae». Im Anhang sind Heiner Goebbels' Musikkolumnen, die er zwischen 1990 und 1995 für die WoZ schrieb, dokumentiert.

on: Eislermaterial (CD)