10/2002, Guido Fischer, Jazzthetik
Review (de)

Eislermaterial

Vor kurzem hat er sich an dem ganz großen Kunstlied versucht, an denen von Gustav Mahler. An diesen von Expressivität und Volkstümlichem dissozierenden Seelengesängen. Josef Bierbichlers schütteres Organ wurde gleichsam zum ungewöhnlichen Transmissionsriemen für diese Mini-Apotheosen. Doch dieser Schritt des bayerischen Starschauspielers ist nicht zu denken ohne seinen Einsatz in dem Projekt "Eislermaterial" von Heiner Goebbels. Dessen mittlerweile zum Kulturexportschlager aufgestiegene Hommage an diesen atypischen Staatskomponisten der DDR, an den Wegbegleiter und musikalischen Wegbereiter von Bertolt Brecht, ist eine der anregendsten Klang-Reflexionen überhaupt: über Kunst, Philosophie, Politik. Und damit über den Menschen. Goebbels, der sich bereits vor einem Vierteljahrhundert mit Eisler beschäftigte, hat dafür weder museal noch improvisatorisch ungebändigt Lieder und Instrumentalstücke arrangiert. Dieser Zyklus bildet einen Materialstrudel von sofortiger Sogkraft. Wie Bierbichler sich in einer quäkende Graugans verwandelt; wie er zärtlich Brechts "Festlied für Kinder" zur eigentlichen Nationalhymne der Bundesrepublik macht - während Goebbels mit dem Ensemble Modern zum Apologeten von Charlie Hadens Liberation Orchestra wird, mal sich kämpferisch auf scharfkantige Orchesterkonturen einlässt - das ist erschütternd und versöhnlich zugleich. Was für die Größe von Hanns Eisler wie für die von Heiner Goebbels spricht.

on: Eislermaterial (CD)