12/1998, Mechthild Zschau, CUT
Review (de)

Unerreichbare Höhen

Kritiker, Schauspieler, Radiomacher über ihr wichtigstes Hörerlebnis. Teil 1: Die Befreiung des Prometheus - Hörspiel von Heiner Goebbels.

Ein feines metallenes Klingen, eine leicht verzerrte Frauenstimme beginnt die Geschichte des Prometheus. Schräge Klangeruptionen unterbrechen den Text, zerlegen, überlagern ihn. Eine Tenorstimme stöhnt, Heiner Müller liest - emotionslos, untermalt von Blasmusik. Wildes Getümmel elektronischer Klänge macht sich selbständig und malt ein beklemmendes Bild des gequälten Mannes, den Hephaistos an den Felsen schmiedete, dem der Adler von der Leber aß ("aß, aß, Aas, Aas"), jahrtausendelang, bis eine so gewaltige "Mauer aus Gestank" ihn umgab, daß der Erretter Herakles sie kaum durchdringen konnte. Klaviercluster donnern. Otto Sander raunt im Wechsel mir einer süßen Kinderstimme und dem kunstvoll ächzenden Tenor des Walter Raffeiner die Geschichte weiter. Einzelne Worte lösen sich aus dem Zusammenhang verwandeln sich in rhythmische Klänge. Sätze schichten sich übereinander, wiederholen sich in strenger Choreographie. Eine Trompete weint, ein Fetzen hochdramatischer Filmmusik mischt sich hämisch ein. Und Otto Sander raunt. Was ist das bloß? Literatur mit sehr viel Drumherum so etwas wie weiland Jazz und Lyrik? Oder Musik unter Verwendung von etwas Text? Aber was für eine Musik ist das, die sich zusammensetzt aus elektronischen wie instrumentalen Klängen, Zitaten und Geräuschen - die die Geschichte niemals schlicht illustriert sondern mit ihren eigenen Mitteln unerhört expressiv weitererzählt? Und was geschieht mir dem Text? Mal dringen Sätze klar und deutlich aus mythischer Ferne in die Gegenwart, hart erbarmungslos und geheimnisvoll. Dann löst sich die Sprache auf in ihren Klang, zersplittert zu einzelnen Vokalen, Konsonanten. Und schon droht sie schier unterzugehen im überschäumenden Wogen rabiater Klangmassen. 1 Seite Text = 45' Hörspiel. Gerade mal eine Druckseite Text umfaßt Die Befreiung des Prometheus, die Heiner Müller wie einen erratischen Block in sein Theaterstück "Zement' gesetzt hat. Eine Seite artifizieller Prosa, die den Mythos mit heutiger Sprache in eine rüde, illusionslose Zeitlosigkeit katapultiert. Heiner Goebbels macht daraus eine Dreiviertelstunde akustischer Kunst. "Nur" ein Hörspiel? Oder eine avantgardistische Oper, deren Bilder sofort und mit erschreckender Wildheit im Kopf entstehen? Als Heiner Goebbels, der Frankfurter Komponist und Theatermacher, dieses Stück 1985 komponierte, war er noch nicht jener europaweit berühmte Künstler - einer der größten die diese Gegenwart kennt, wie ich meine. Mit diesem Stück, diesem Hörspiel, das er später auch auf die Bühne verpflanzte, hat er zum ersten Mal seinen unverwechselbar eigenen Ton gefunden, diesen Ton, der mit Elementen aus Rock, Jazz und E-Musik, mit Texten und vom Film entlehnten Schnittechniken eine so differenzierte wie opulente, schmerzhaft emotionale wie präzise gedachte Form des akustischen Malens entwickelt. Damals hätte eigentlich eine neue Ära des Hörspiels anbrechen müssen. Nur - niemand hat mitgemacht. Oder hat sich Goebbels in solch unerreichbare Höhen der Hörspielkunst begeben, daß nur er allein dort weiter herumwandern kann?

on: Hörstücke (CD)