13 June 2001, Nike Luber, Stuttgarter Nachrichten
Review (de)

Heiner Goebbels "Schwarz auf Weiss" in Baden-Baden

Hommage an Heiner Müller

Schwarz auf weiß liest man Kritiken, Romane, Rechnungen, und mancher Zeitgenosse glaubt grundsätzlich nur, was er schwarz auf weiß sieht. Ungeahnt fantastisch ist das Spektakel, das der Komponist und Theatermann Heiner Goebbels "Schwarz auf weiß" als modernes Musiktheater für das Ensemble Modern geschrieben hat.
Andreas Mölich-Zebhauser, dem Ensemble Modern aus früheren Zeiten verbunden, lud das 18-köpfige Spezialistenorchester für Zeitgenössisches samt Goebbels und dem Stück "Schwarz auf weiß" mutig zu den Pfingstfestspielen nach Baden-Baden ein. Modernes Musiktheater ist nicht unbedingt der Renner beim breiten Publikum, aber die Kenner und Liebhaber fanden sich tatsächlich im Festspielhaus ein, um 75 Minuten lang einem ebenso kryptischen wie faszinierenden Geschehen zu folgen.
Als literarische Vorlage diente Morbides von John Webster und Edgar Allan Poe, aber auch ein Text von Maurice Blanchot. Auf der Bühne sieht man einen schreibenden Menschen, der zum Schreiben halblaut in Französisch Blanchots Worte mitspricht, man hört, tonbandverstärkt, die Schreibgeräusche. Nach und nach füllt sich die Bühne mit Musikerinnen und Musikern, die gelassen ihren Platz suchen.
Souverän tun die Mitglieder des Ensemble Modern so, als wären sie allein im Saal, und kehren dem Publikum den Rücken zu. Bald herrscht muntere Anarchie auf der Bühne, die einen werfen mit Bällen nach dem Schlagwerk, die anderen spielen Federball. Doch die ständige Bewegung, die immer neuen Formationen der Musiker und Instrumente sind genau choreografiert. Jeder Einsatz in dem scheinbar zwanglos improvisierten Musiktheater sitzt exakt, ob Webster oder Poe in Englisch, Französisch und Deutsch deklamiert werden oder die Instrumente allein das Sagen haben.
Goebbels versieht die schaurigen Texte mit ironischen Brechungen, während in Poes Erzählung "Schatten" von unheimlichen Ereignissen im antiken Ptolemais die Rede ist, kocht sich einer der Musiker seinen Tee. Gekonnt hat Goebbels gesprochenes Wort, Aktion und Musik verbunden, zum dampfenden Teekessel bläst der Teeliebhaber sein Solo auf der Piccoloflöte. Die Spitzentöne erinnern nicht von ungefähr an das Pfeifen eines kochenden Wasserkessels.
Eine phänomenale Vielseitigkeit legt das Ensemble Modern in "Schwarz auf weiß" an den Tag. Nicht nur, dass jeder virtuos sein Instrument beherrscht, beherzt greifen die Streicher auch mal zum Blech und die Bläser umgekehrt zur Geige. Letzteres allerdings nur, um ein dekoratives Violinenballett auszuführen, derweil eine sinnreiche Konstruktion der chinesischen Zither mechanisch eine aparte Tonfolge entlockt.
Elegant hat Goebbels moderne elektronische Rhythmen mit den Motivfetzen und improvisatorischen Soli der Musiker zu einer Einheit verbunden. Trotz aller Brüche reißt der rote Faden nie ab. Dieses Musiktheater ist zu quirlig, um ein Requiem für den Dramatiker Heiner Müller abzugeben, doch eine Hommage auf den großen Autor ist es allemal, wenn am Ende aus dem Off Müllers Stimme spricht. Ungewöhnlich, dank der engagierten, hoch professionellen Interpretation des Ensemble Modern aber auch spannend, erwies sich das Stück als zeitgenössischer Kontrapunkt der Pfingstfestspiele.
(Nike Luber)

on: Schwarz auf Weiss (Music Theatre)