27 September 2008, Volker Milch, Wiesbadener Kurier
Review (de)

Alle Zeichen stehen auf Endspiel

Neues Musiktheater-Stück von Heiner Goebbels am Frankfurter Schauspiel


Vier Herren mit Hut, das Hilliard-Ensemble, bei der Wohnungsauflösung in Frankfurt

FRANKFURT Das Einzige, was in dem grauen Raum zu leben scheint, ist die unsichtbare Standuhr. Mit ihrem ruhigen Ticken entschleunigt der Frankfurter Komponist und Gesamtkunstwerker Heiner Goebbels mal wieder sein Publikum. Richtig gemütlich wird es aber nicht werden im Großen Haus des Frankfurter Schauspiels. Dem Fenster des grauen Raums fehlt der Griff, und alle Zeichen stehen auf Endspiel, wenn vier Herren mit Hut die sparsam gedeckte Kaffeetafel abdecken und in einem riesigen Umzugskarton verstauen. Tasse für Tasse wird penibel in Tücher eingeschlagen. Selbst das Blumenwasser und die weißen Lilien kommen in die Kiste. Rechts steht aber schon bald ein neuer Karton, mit dessen Inhalt der Tisch wieder eingedeckt wird. Nur tragen jetzt die Tassen und sogar die Lilien Trauer: sie sind schwarz, als handele es sich um das Negativ vom Positiv. Das könnte, man ahnt es, endlos so weitergehen wie die Sache mit dem Stein, der auf den Berg zu rollen ist. Die Menschen sind zurück Nach der magischen, menschenleeren Installation "Stifters Dinge" mit ihren vor sich hin spielenden Klavieren im letzten Jahr sind in dem Musiktheaterabend "I went to the house but did not enter" die Menschen auf die (von Klaus Grünberg wieder kongenial ausgestattete Bühne) zurückgekommen. Aber Heiner Goebbels bleibt sich als Komponist und Regisseur treu, indem er die Geschichte(n) auf der Bühne verweigert - "jede Marktfrau hat bessere drauf als ich", hatte er im Kontext von "Stifters Dinge" gesagt und sein Verständnis von nichtnarrativem Theater mit Gertrude Stein untermauert: "Everything which is not a story can be a play". Das neue Stück hat er wieder Lausanne produziert. Im August wurde es in Edinburgh uraufgeführt und geht nun auf Tour durch die weite Welt. Im Zentrum der neuen Produktion, die Heiner Goebbels ein szenisches Konzert in drei Bildern nennt, stehen Texte von T.S. Eliot, Maurice Blanchot, Franz Kafka und Samuel Beckett: Hermetisches, Umschreibungen der Vergeblichkeit, in denen Fragen gestellt, aber nicht beantwortet werden: "Und was ist mit dem Tod?" Die vier famosen Sänger des Hilliard Ensembles (David James, Rogers Covey-Crump, Steven Harrold und Gordon Jones) leihen den Texten ihre Stimmen und trotten als unbehauste Handlungsreisende des Absurden über die Bühne. Heiner Goebbels hat dem Vokalquartett eine artgerechte a-cappella-Musik auf den Leib bzw. die Stimmbänder geschrieben. Für sich genommen ist diese Musik in ihrer Alte-Musik-Anmutung, im Psalmodieren etwa von Becketts "Wostward Ho" ("Aufs Schlimmste zu"), nicht besonders spannend, offenbart im Goebbels-Gesamtkunstwerk aber den diskreten Reiz des Understatements. Nach dem stillen Wohnzimmer-Unglück von J. Alfred Pufrocks Liebeslied (T.S. Eliot) im ersten Bild bewohnt das Quartett im zweiten Bild ein trist verklinkertes Vorstadt-Haus, um im letzten Bild in einem Hotelzimmer zu landen, dessen abgestandene Wohnlichkeit auch von dem Duo Marthaler/Viebrock stammen könnte. Im grotesken, immer wieder für Heiterkeit im Saal sorgenden Humor und dessen bedächtiger Ausführung gibt es da ohnehin einige Berührungspunkte. Ein Zimmer ohne Aussicht Es scheint sich im letzten Bild nicht um ein Zimmer mit Aussicht(en) zu handeln, auch wenn die vier Herren angestrengt aus dem Fenster, auf einen Fernseher und schließlich in die Vergangenheit schauen: Ein Diaprojektor wirft braunstichige Bilder auf die Leinwand. Am Ende lernen diese Bilder das Laufen, und während das Wasser im Film fließt, verklingt das Hilliard Ensemble in einer utopisch-harmonischen Kadenz - viel zu schön, um in dieser Tristesse wahr zu sein. Heute (27.9.), 20 Uhr, im schauspielfrankfurt.

on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)