12 February 2000, Christian Deutschmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Review (de)

Wer das Hörspiel nicht ehrt

Heiner Goebbels richtet an: "Oder die glücklose Landung"

Mit relativ geringem Aufwand - elektroakustische Einspeisungen gibt es diesmal so gut wie keine -baut sich hier in der Begegnung einer Sprechstimme (Ernst Stötzner) mit einigen Instrumentalisten und Sängern ein Klangfeld auf, das die Irritation unseres modernen Bewusstseins durch eine nach wie vor unbeherrschbare Natur thematisiert. Die Texte, konträr in ihrer Haltung, erzählen doch vom Gleichen: Joseph Conrads "Kongo-Tagebuch" ist der Versuch, in cooler Manier und aufs Allernotwendigste reduzierter Syntax eine Expedition durch die Wildnis festzuhalten. Dagegen ergeht sich der Franzose Francis Ponge - hier in der unverkennbaren Handschrift seines übersetzers Peter Handke - in feinsinnigen Selbsterkundungen angesichts der Eindrücke, die der Gang durch einen Kiefernwald in ihm auslöst. Eindrücke des Ausgeliefertseins, der "Umklammerung" und, Gipfel des zivilisatorischen Unmuts, der fehlenden Benennbarkeit (das Wort Wald ist nur noch "ein Name aus einem alten Buch"). Heiner Müller schließlich steuert mit Zeilen aus "Herakles 2 oder die Hydra" Einsichten über die Natur des Menschen bei, den er im Kampf mit seinesgleichen vorfindet: "Sich den Bewegungen des Gegners anpassen, ihnen ausweichen, ihnen zuvorkommen, sich anpassen und nicht anpassen." Als Material in Kombination mit reichlich disparaten Musikpassagen gehandhabt, verliert der Text in seinen unterschiedlichen Dialogbeziehungen mit der Musik seine Berichtsfunktion, geht in eine streckenweise packende Reise durch Klangwelten über, an deren Ende Versöhnungsbereitschaft und schließlich, im unendlichen melodischen Zirpen der einer portugiesischen Fado-Gitarre ähnelnden afrikanischen Kora, tatsächliche Beruhigung und Aussöhnung stehen. Die Textpartikel breiten sich aus, reiben sich an den Klängen, verschwistern sich mit ihnen und ergeben tönende Flächen voller assoziativer Schwingungen. Dabei fällt es leicht, den zuweilen wilden Attacken von E-Gitarre, Saxophon und Posaune gleichsam im naturalistischen Sinn sowohl das Gewaltsame der beschriebenen Szenerie als auch die durch sie ausgelöste Verstörung zu entnehmen. Andererseits treffen wir im Gesang der beiden afrikanischen Künstler Sira und Boubakar Djebate auf. Jene authentische Stimmlage, die nicht über Natur reflektiert, sondern ihr selbst angehört. Zunächst fremdartig wirkend, nimmt uns dieses Stück in seinem meditativen, gleichwohl kühl analytischen Gestus bald an die Hand, ermuntert uns, die aufscheinenden Gedanken fortzuspinnen. Wir glauben uns längst informiert über alle möglichen Schauplätze dieser Erde und müssen doch erkennen, dass wir uns vor der echten Begegnung mit ihr fürchten. (Christian Deutschmann)

on: Ou bien le débarquement désastreux (Music Theatre)