26 September 2008, Elisabeth Risch, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Review (de)

Konzert in drei Bildern

Heiner Goebbels' Produktion im Schauspiel Frankfurt

Dieses Stück muss man gesehen haben. Beschreiben nämlich lässt sich Heiner Goebbels' "Szenisches Konzert in drei Bildern", das im Schauspiel Frankfurt seine deutsche Erstaufführung erlebte, kaum. Etwa die drei aufwendigen Bühnenbilder Klaus Grünbergs, Sinnbilder jener Widersprüche, welche die Aufmerksamkeit über 90 Minuten hinweg in der Schwebe halten. Im ersten Bild reibt sich ein fahles Grau an der tantenhaft betulichen Gestaltung mit aufgehängten Bildern und gedecktem Tisch mit schwarzen Blumen in weißer Vase. Die symmetrische Gestaltung des Bühnenbilds korreliert mit der strengen Choreographie, in der dort zu den Worten von T. S. Eliots "The Love Song of J. Alfred Prufrock" Absurdes in allerfeierlichster Haltung zelebriert wird: Ein Herr tritt ein, altbürgerlich-vornehm gekleidet. Zwei weitere Herren kommen und dann ein dritter, worauf die anderen beiden zügig wieder verschwinden. Sie kommen wieder und tragen eine Umzugskiste, als wäre sie ein Sarg. In feierlichster Choreographie wird das Zimmer leergeräumt. Eine neue Umzugskiste wird hereingetragen. Daraus wird, in nur wenig gebrochener zeitlicher Symmetrie und wenigen Abwandlungen, das Zimmer wiederhergerichtet. Die Assoziationsmaschinerie im Zuschauerhirn ist unterdessen längst heißgelaufen. Das zweite Bild: ein Vorstadthäuschen im gelbverklinkerten Schuhkartonstil mit drei großen Fenstern und Garagentor. Morgendliche Vogelstimmen. Ein ältlicher Herr tritt mit einem Fernrohr ans Fenster und exponiert zufriedene Rentner-Idylle unter dem Lärm vorbeirasender Autos, querender Flugzeuge und Mülltonnenscheppern. Nach und nach erwachen die Herren Mitbewohner. Unter deutschen Untertiteln deklamieren sie gemeinsam die englische Übersetzung mit von "La folie du jour", "Der Wahnsinn des Tages", von Maurice Blanchot. Die erzählte Geschichte selbst, die sichtbaren Handlungen und die Rollenverteilungen erzeugen im Zuschauer eine Art Auflistung der Fehlermeldungen, bis er kaum noch nachkommt und doch niemals das Interesse verliert. In diesem Punkt gehört Heiner Goebbels zweifellos zur künstlerischen Superlative der Gegenwart. Über die Eigendynamik des Sujets hinaus fesselt er durch die Schönheit und Poesie der Bilder, Posen und Klänge. Die Sänger des Hilliard Ensemble, der Countertenor David James, die Tenöre Rogers Covey-Crumb und Steven Harrold sowie der Bariton Gordon Jones, bestechen nicht nur durch ihre phänomenale Stimm- und Ensemblekultur, sondern auch als Darsteller, die durch ihre unprätentiöse Selbstsicherheit in allem, was sie auf der Bühne tun, eine enorme Anziehungskraft entfalten. Möglich allerdings, dass Sounddesigner Willi Bopp der Homogenität unauffällig nachgeholfen hat. Die Musik von Goebbels scheint dem Hilliard Ensemble auf den kollektiven Leib geschrieben, dessen Klanggestus auch in den stacheligsten Cluster-Harmonien noch gotisch anmutet, kühl erhaben, archaisch, sakral-mystisch. Wie die Musik des 16. Jahrhunderts, in dem die Aktivitäten des Quartetts einmal ihren Anfang genommen haben. Und immer auch mit einem unterschwelligen, doch deftigen Schuss englischen Humors. Das dritte Bild ist ein großbürgerliches Hotelzimmer mit unvollkommen auf Stoß gelegter Blümchentapete. Die einstige Stuckdecke scheint durch Lüftungsroste der Klimaanlage ersetzt. Darin drei Herren, gepflegt gekleidet im Stil des 19. Jahrhunderts. Ein vierter kommt später aus dem Bad dazu und lässt die Tür offen. So bildet der Motor des Badezimmer-Ventilators für geraume Zeit den Bordun für einen litaneiartigen Gesang über Samuel Becketts "Worstward Ho", "Aufs Schlimmste zu". Kein polemisches, ein ästhetisch packendes, auch liebevolles Gesamtbild vom normal verrückten, vielfach in sich aufgespaltenen Alltagsmenschen. Neunzig Minuten intensiver multimedialer Poesie, die lange nachwirkt. Das Stück muss man gesehen haben.

on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)