22 May 2009, Norbert Mayer, Presse
Review (de)

Das Versagen großer Dichter

Heiner Goebbels lässt das Hilliard Ensemble mit Texten von Eliot, Kafka und Beckett spielen.

Provokant langsam beginnt das erste von drei Bildern, die der Regisseur und Komponist Heiner Goebbels „I went to the house but did not enter“ genannt hat. In den nächsten zwei Stunden wird das Hilliard Ensemble erst ein frühes Gedicht von T. S. Eliot rezitieren, singen, darstellen, dann die irren Gedanken von Maurice Blanchot mit einer Coda von Franz Kafka, um schließlich mit dem vorletzten Prosatext von Samuel Beckett zu enden. Blendende Literatur, grausame. Doch erst beginnt, wie gesagt, die Provokation beim Gastspiel am Mittwoch im Theater an der Wien. 20 Minuten lang sind die Sänger David James, Rogers Covey-Crump, Steven Harrold und Gordon Jones, die vor allem für Alte Musik geliebt werden, damit beschäftigt, schweigend das Bühnenbild zu verändern; Vorhänge, zwei Bilder mit Hundeköpfen, ein Tisch mit Service und Blumen, eine Kleiderpuppe, alles in grauen Schattierungen von weiß bis schwarz. Minimalmusik: Die Uhr tickt. Das Quartett, in schwarzen Mänteln und mit Hüten, schleppt eine Schachtel links auf die Bühne und packt dort Stück für Stück das Mobiliar ein, sogar den Staubsauger. Dann ein kurzer Blick auf die Uhr und das Rezitieren von Eliots „The Love Song of J. Alfred Prufrock“ (1911). Dieses Gedicht steht in England spektakulär als ein Beginn der Moderne. Ein einsamer Verklemmter mittleren Alters versäumt sein Leben. Die Vertonung: monoton. Der Vortrag: exzellent. Hilliard Sound. Eine weitere weiße Schachtel wird rechts auf die Bühne geschoben. Was weiß war, wird schwarz, die vier schaffen bedächtig, melodisch ein Gegenbild. Es ist hell geworden. (Und die ersten Zuseher verlassen recht laut den Saal.) Dunkles von Blanchot Dabei entwickelt sich dieser Abend doch prächtig. Bei offenem Vorhang, in Dunkelheit wird ein zweites Bild (Bühne und Licht: Klaus Grünberg) aufgebaut, ein absurdes Haus mit den Herren hinter beleuchteten Fenstern und in einer Mehrzweck-Garage mit Waschküche und Werkbank. Das Setting ist ideal für den dunklen Text „La folie du jour“ von Blanchot (1948). Es schwebt die Musik, eingebettet in Alltagsgeräusche. Rasch noch Kafkas „Ausflug ins Gebirge“ (1912). Dort werden die Hälse frei: „Es ist ein Wunder, dass wir nicht singen“, singen die Sänger. Was für ein Spaß! Kafka hätte gelacht. Schließlich der Abgrund. Vorhang zu. Auf Schriftbändern läuft in Stille Becketts „Worstward Ho“ (1983) ab. Noch ein Umbau in Finsternis. Ein Hotelzimmer, so trostlos hoch, dass die größten Dichter darin gestorben sein könnten. Wieder und wieder singt das Hilliard Ensemble dieses Testament vom Scheitern, vom nochmal Versuchen, vom besseren Scheitern, wie eine Litanei. Wenn sie sich zum Fenster hinwenden, ohne Blickkontakt harmonieren, klingt das wie eine Seelenmesse. Die Überlebenden trinken, schauen sich Dias aus einer Jugend an. Die Bilder verschwimmen, schließlich ein Film; Wellen. Sanft verebbt das Konzert. Ein außergewöhnlicher Abend, komplex wie ein Madrigal, in dem Meerjungfrauen singen und Dichter ertrinken.

on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)