2 May 2013, Natascha Pflaumenbaum, dradio kultur
Review (de)

Eine Oper wie ein Gang durchs Museum

Heiner Goebbels inszeniert "Landschaft mit entfernten Verwandten" in Frankfurt am Main

Mal sind sie Renaissancegelehrte, dann Countryband: In der Neufassung seines Dreiakters "Landschaft mit entfernten Verwandten" lässt Komponist Heiner Goebbels sein Ensemble als Schauspieler und Musiker auftreten. Herausgekommen ist ein schnelles Stück mit atemberaubender Musik.
Landschaft mit entfernten Verwandten: Das könnte der Titel eines Historienbildes Alter Meister sein - von Nicolas Poussin etwa - oder der Titel einer dieser nebeligen Pastelllandschaften von William Turner. Für Heiner Goebbels ist "Landschaft mit entfernten Verwandten" eine Metapher für einen Blick auf die Welt, den er in dieser Oper in gut eineinhalb Stunden exponiert. Es ist der Blick desjenigen, der ein Bild betrachtet, es analysiert, Linien, Fluchtpunkte und Kompositionsweisen betrachtet, um es so nach und nach zu entschlüsseln. Gerade die großen Bilder Alter Meister entpuppen sich so oft als simultaner Comic, als Bildergeschichte, die ein großes Ereignis über das gleichzeitige Arrangement verschiedener Szenen in die begrenzte Zweidimensionalität bannt. So kann man die lose drapierten Szenen dieser dreiaktigen Oper verstehen: als Komposition eines einzigen großen Ölgemäldes oder aber wie einen Gang durch ein Museum, in dem der Besucher auf verschiedene, stets neue Bilder trifft, die vor seinen Augen plötzlich lebendig werden, hörbar werden.

Die Musiker des Ensembles Modern machen diese Bilder lebendig, indem sie durch Kulturen und Epochen wandern, so als würden sie diese Bilder szenisch nachspielen. Heiner Goebbels ist dafür bekannt, dass die Musiker in seinen Werken zu Darstellern werden, dass der performative Akt des Musikmachens in den Mittelpunkt rückt, und so agieren die Mitglieder des Frankfurter Ensembles Modern in diesem Stück wie Musiker und Darsteller gleichermaßen, wobei das Musikmachen stets im Mittelpunkt steht. Mal als Renaissancegelehrte in schwarzen Röcken und weißen Halskrausen, mal als Rokokogesellschaft, mal als ziemlich müde Cowboy-Countryband, dann wieder als tanzende Derwische oder Mönche eines buddhistischen Klosters vor Klangschalen sitzend (Kostüme: Florence von Gerkan; Bühne und Licht: Klaus Grünberg). Die 20 Musiker des Ensembles Modern (Leitung: Franck Ollu) spielen neben den klassischen westlichen Orchesterinstrumenten allerlei exotische Instrumente: die Daf, die Nagara, die armenische Duduk oder die chinesische Bambusflöte. Und sie sind exzellent in dieser Oper, weil sie atemberaubende Klänge schaffen, weil sie aber vor allem aus einer Natürlichkeit Musik machen, die man so selten sieht.

Ein politisches Stück

Goebbels benutzt für diese Szenen Texte von Gertrude Stein, T. S. Eliot, Leonardo da Vinci, Giordano Bruno. Er montiert sie so, dass sie wie in einem Kaleidoskop einander überwischen. Jedes Mal entsteht etwas komplett Neues aus dem Material des vorherigen Bildes. Dabei konzentriert er sich auf ein paar Themen wie etwa Krieg, das 19. Jahrhundert, Wissenschaft und Evolution - und zwar so geschickt, dass sich sukzessive die politische Dimension dieses Textarrangements hervorhebt.

Neben dem inhaltlichen roten Faden etabliert Goebbels mit dem Schauspieler David Bennent eine Art Protagonisten, der einen Teil der Texte auf Französisch spricht und visualisiert. Bennents Job in diesem Stück ist es, den Gedanken vom Malen, vom Bildaufbau, vom Bilderlesen immer wieder kontrapunktisch ins Spiel bringen, zu verstärken, um so einzelnen Szenen Gewicht zu geben. Benennt flitzt und springt über die Bühne, er fabuliert und bespielt die Musiker mit seinen Worten - und bindet so das Heterogene zu einem Ganzen. Es bringt Energie ins ohnehin schon schnelle Spiel.

Es ist ein beeindruckendes Werk, ein beeindruckender Abend. Vielschichtig in seiner Bedeutung gibt er einem viele Denkaufgaben mit in die Nacht. Mehr als das ist es aber ein anderes verblüffendes Erlebnis, das den Abend prägt: Selten sieht man Musik so deutlich.

on: Landschaft mit entfernten Verwandten (Music Theatre)