4 May 2013, Gerd Döring, Darmstädter Echo
Review (de)

Blechbüchsen-Armee und Waldhornklänge

Musiktheater: Heiner Goebbels und das Ensemble Modern präsentieren in Frankfurt ihre "Landschaft" auf neue
Weise

Seit der Uraufführung im Jahr 2002 präsentieren
Heiner Goebbels und das Ensemble
Modern die "Landschaft" in immer neuen
Facetten. In Frankfurt stellten sie jetzt
eine neue Fassung dieses ambitionierten
Musiktheaterstücks im Bockenheimer Depot
vor - vom Komponisten ein wenig überbordend
inszeniert.
Heiner Goebbels "Landschaft mit entfernten
Verwandten" besteht aus schwelgerischen
Tableaus in immer wieder wechselnden,
oft unkonventionellen Musiker-Konstellationen.
Die Zeitreise ohne Handlung
beginnt im Barock, wird später Minimal
Music und den lässigen Chic der "Talking
Heads" streifen, um dann meditativ auszuklingen
mit einem Epilog aus Klangschalen.
Es ist ein langer Schnitt durch die Epochen,
durch den Dirigent Franck Ollu die
Musiker-Schauspieler-Tänzer führt. Zum roten
Faden werden Zitate aus einem Werk
von Gertrude Stein, deren "Wars I have
seen" getragen ist von einer leisen Weltmüdigkeit
und kaltem Spott.
Den Krieg bringt Goebbels mit harscheren
Szenen auf die Bühne, etwa wenn David
Bennent (einzige professionelle Sprechstimme
im Ensemble) den "Triumphmarsch"
von T. S. Eliot skandiert und dabei
flankiert wird von einer trommelnden Blechbüchsenarmee.
Aber in dem avancierten
Vexierspiel geht es auch um den nüchternen
Blick auf die Dinge. Weite Teile des Librettos
bestehen aus Texten bekannter Maler,
und wenn der Bariton Holger Falk die
"Schlachtbeschreibung" von Leonardo da
Vinci rezitiert, dann treffen sie sich, das
Auge der Kunst und der blutige Ernst des
Krieges.
Angetreten ist Goebbels einst mit subtilem
Protest im "Sogenannten Linken Blasorchester",
heute hebt er, wie die "Berliner
Zeitung" anläßlich der Berliner Premiere
seiner "Landschaft" schrieb, "die Oper aus
den Angeln". Schon 2007 wurde das "Work
in progress" auf CD veröffentlicht (ECM
New Series 1811), nun erlebt es im Bockenheimer
Depot eine bemerkenswerte Neuauflage.
Noch intensiver als zuvor sind die
Musiker des Ensembles eingebunden in die
Handlung, brillieren mit ihren darstellerische
Fähigkeiten und verblüffen mit beachtlichen
Sing- und Sprechstimmen.
Die so anmutige wie anspielungsreiche Zeitreise
ist zugleich ein Lehrstück in Sachen
Globalisierung. Da spielt eine als Tupamaros
verkleidete Combo einen Tanz des
Vergeblichen, wenig später tanzt das Ensemble
zu Duduk und Darabuka. Hier drehen
sich die Derwische, dort agieren - very
british - die Musikerinnen um Catherine
Milliken, und wenn Geiger Jagdish Mistry
ein Lied in Hindi vorträgt, dann begleiten
ihn Fagott und Waldhorn. Schrägen Humor
beweisen dürfen alle, wenn sie sich zu einem
himmlisch-blauäugigen Hillbilly-Song
finden, in dem Dietmar Wiesner mit dem
Banjo den Ton angibt.
Szene um Szene gleitet so vorüber, en passant
wird die Bühne umgebaut, und in den
opulenten Bildern (Licht und Regie: Klaus
Grünberg) agieren die Darsteller in nicht
minder prächtigen Kostümen (Florence von
Gerkan). Ein Fest fürs Auge, das fast
ablenkt von den Texten, unter anderem von
Gertrude Stein. "Es sollte keine Eroberungsträume
geben", schreibt sie 1943, "weil
der Erdball ein ganzes ist, jeder kann alles
hören und jedermann kann dasselbe hören.
Was hat es also für einen Zweck zu erobern?‘"
Prophetische

on: Landschaft mit entfernten Verwandten (Music Theatre)