Wut, Wahn und ein Recht ohne Wahrheit
Heiner Goebbels inszeniert in Bochum zur Eröffnung der Ruhr-Triennale Harry Partchs Delusion of the Fury
"....Heiner Goebbels, Theaterkünstler und
Komponist, ist mit Harry Partchs Werk in
den achtziger Jahre bekannt geworden, als
zum ersten Male in Europa Schallplatten
mit seiner Musik auftauchten. In seiner eigensinnigen
theatralen Ästhetik, seinem
weiten thematischen Einzugsbereich und
seinen kritischen Haltungen hat Goebbels
einen Geistesverwandten ausgemacht. Die
Arbeit an einem nicht-arbeitsteiligen Musiktheater,
die künstlerische Gestaltung politisch
akzentuierter und kulturhistorisch ausgeweiteter
Gedankengebäude - das sind
zwei grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen
beiden.
Kein Wunder also, wenn Thomas Meixners
vorbildgetreue Nachbauten des von Partch
erfundenen Musikinstrumentariums auf der
Bühne ein wenig an Goebbels' Installations-
Musiktheater "Stifters Dinge" erinnern (das
die Ruhr-Triennale ab 22. September in einer
"unguided Tour" präsentiert). Kein
Wunder auch, wenn man Parallelen etwa
zur Ästhetik älterer Bühnen-Produktionen
Heiner Goebbels' mit dem Ensemble Modern
erkennt.
Was auf der Bühne zu sehen ist, geht jedoch
weit hinaus über alle Referenzenseligkeit.
Goebbels' Regiearbeit ist keine monomanische
Aneignungsbewegung, sondern erkennbar
als respektvolle Teamarbeit, bei
der theatrale Arbeitsteilung nicht einfach
negiert, sondern als Folge intensiver Zusammenarbeit
von Musikern, von Ausstattung,
Sounddesign, Lichtkunst und Dramaturgie
überwunden und auf einer sanft über den ärgerlichen
Dingen des Alltags schwebenden
Ebene zusammengeführt wird.
Es ist ein großes und durchaus naives Vergnügen,
den Musikern des Ensembles musikFabrik
zuzusehen, wie sie mit Präzision
und Engagement die Bühne bespielen, mit
sich und mit einer Musik, deren Fremdheit,
Eigentümlichkeit und Bühnenpräsenz dem
Anblick der Instrumente entspricht; ihnen
zuzuhören, wie sie als Instrumentalisten
und Sänger konsequent eine falsch klingende,
weil obertonbasierte Stimmung gegen
gängige Spiel-, Sing und Hörgewohnheiten
realisieren und dabei zu erleben, wie
man nach einiger Zeit das alles zu akzeptieren
und darin zu Hause zu fühlen beginnt
und dabei immer wacher und aufmerksamer
wird. Unterdessen entfalten die weichen
Tiefstton-Impulse der riesigen Marimba
Eroica ihre Wirkung unterhalb des hörbaren
Spektrums, also weniger an den Gehörknöchelchen
als am Brustbein, den Mittelfußknochen
und am Schienbein, so dass
von ihnen eine tief beunruhigende Wirkung
ausgeht, die andererseits vom beruhigend
linearen, belebenden Pulsen des verspielten
Perkussions-Instrumentariums wieder eingefangen
wird...."
"Harry Partchs Musik klingt nicht wie Opernmusik
irgendeiner vertrauten Provenienz.
Heiner Goebbels' Theater sieht nicht aus
wie eine Inszenierung. Der Stoff und seine
Realisierung fügen sich zu einer weltabgewandten
Gegenwärtigkeit. Ihre Wirkung ist
nicht neutönerisch provokativ, sondern suggestiv
und magnetisch. Ironische Einsprengsel
durchziehen ein grundierendes archaisches
Pathos mit ikonografischen Kostümierungen,
wulstigen Landschaftsteilen,
mit Feuerstellen, mit Wasser, das seinen
Weg abwärts durchs Bühnenbild nach vorn
findet, auf dem Boden des alten Industriereviers,
in der schwingenden Luft einer eigentümlichen
Musik."
Hans-Jürgen Linke
Frankfurter Rundschau (DE), 26 August 2013