Töne im Bergwerk
Der amerikanische Komponist Harry Partch revolutionierte das Tonsystem. Die Ruhrtriennale erinnert an den
visionären Musiker
"Heiner Goebbels (Regie), Klaus Grünberg
(Bühnenbild) und Florence von Gerkan
(Kostüme) in eine überzeitliche und transkontinentale
Erlebniswelt gepackt - gleichsam
in ein Bergwerk, in dem Töne abgebaut
werden. Darsteller und Handlung gehen
in diesem Kraftzentrum, das seine Musik
einsaugt und wieder ausspuckt, völlig
unter, das ist aber Absicht. Die Instrumente
und Musiker sind in Bochum tatsächlich
die Hauptdarsteller, was Partchs Idee vom
"Corporealismus" seiner Musik kongenial
einfängt."
....
"Es gibt auch keinen Dirigenten, oft spielen
die Musiker auswendig, wie Grubenarbeiter,
die sich mit geschlossenen Augen in Ekstase
halten; dazu tragen sie Bärenfelle,
Overalls, wild gewürfelte Monturen, Sturzhelme,
Ohrenschützer und Höhlenlampen,
sie singen in Bordun-Quinten wie Indianer,
die sich in ein mittelalterliches Kloster verlaufen
haben, schlagen wie zivilisierte Herkulesse
auf Ambosse ein oder huschen zu
zweit zu dem schaurig gestimmten Harmonium,
dessen Töne nicht nur dieses Bergwerk,
sondern gleich die ganze Unterwelt
das Fürchten lehren könnten. Die Wirkung
ist gewaltig: Sogar die vier japanischen
Straßenlampen, die bislang nur schwaches
Licht geworfen haben, beginnen wie betrunken
zu schwanken.
Wenn am Ende diese Raserei leise erlischt,
herrscht im Publikum allgemeines Einverständnis:
Die Tür zum Hinterzimmer des
Harry Partch sollte offen bleiben."
Wolfram Goertz
Die Zeit (FR), 29 August 2013