7 June 2008, Heiner Goebbels
Text (de)

Dankrede zum Binding Kulturpreis

Ich danke Ihnen Allen für Ihre Worte, mit denen es Ihnen schnell gelungen ist, mich verlegen zu machen. Aber ausgerechnet dann, wenn man sich am ehesten verstecken will, muß man auf die Bühne; deswegen bin ich doch eigentlich Komponist und Regisseur geworden, damit ich ‚da unten’ sitzen kann. Ich möchte mich sehr für diesen tollen Preis bedanken. Ich habe gerade ein knappes Jahr als Fellow in Berlin verbracht und - das gebe ich gerne zu - mit dieser Stadt ein wenig geliebäugelt, aber Sie haben mich überzeugt: s o komme ich hiermit gerne wieder zurück: „Meine Stadt. Mein Bier. Binding“ Meiner Familie Barbara, Jakob und Rosa möchte ich besonders danken, auch wenn sie heute leider nicht hier sein kann, sondern die Graduation unseres Sohnes in den USA feiert, weil sich der Vater verrechnet hat. Ich wollte selbst dabei sein und rechtzeitig zu den Proben mit dem Ensemble wieder hier, aber im Taumel der guten Nachricht habe ich irgend etwas übersehen: Flugzeit, Zeitverschiebung, Nachtflugverbot, was auch immer. Es gibt zwar in meiner Biographie– zumindest soweit ich mich erinnern kann - keine schmerzliche Erfahrung, die mich zum Künstler gemacht hat, meine Kreativität entspringt also nicht aus einem Leidensdruck, sondern es ist genau umgekehrt: es ist die künstlerische Arbeit, vor allem die kompositorische, die mich schmerzt und so manchesmal zur Verzweiflung bringt. Und deswegen, weil sie das immer nolens volens mitbekommt, danke ich meiner Familie ganz besonders. Wenn mich meine Frau besorgt fragt, "wie weit bist du denn?", sage ich immer “ich hab noch gar nix!“ Das sind dann die Momente, in denen ich gerne Taxifahrer wäre - aber in einer Kleinstadt mit wenigen Straßen. Irgendwann, meist plötzlich, antworte ich dann aber zur Überraschung aller mit "Im Prinzip bin ich jetzt fertig." Nur was genau dazwischen passiert - also zwischen „Ich hab noch nix“ und „eigentlich bin ich fertig“ das wissen die Götter... Ich danke den Auftraggebern, Produzenten, Intendanten und Orchestern für das Vertrauen mich immer wieder zu neuen Arbeiten zu zwingen. Kein Stück, keine Komposition hätte sonst das Licht der Welt erblickt. Ich arbeite nicht für mich und nicht für die Schublade. Überhaupt habe ich eigentlich erst sehr spät angefangen zu komponieren. Und noch viel später - erst im Alter von vierzig Jahren - auch zu inszenieren. Seitdem versuche ich nur das zu tun, was übrig bleibt, wenn ich all das weglasse, was ich auf der Bühne nicht mehr sehen oder hören will - und das ist nicht wenig. Daß daraus etwas Brauchbares entstanden ist, und daß es nicht nur manchmal den kritischen Blicken meiner Studierenden standhält, sondern diese Anerkennung bekommt, die mir mit diesem Preis widerfährt, darüber freue ich mich sehr. Ich danke den Schauspielern, Sängern, Assistenten, Dramaturgen, Bühnen- und Kostümbildnern, Toningenieuren, Mitarbeitern, Technikern und den vielen Instrumentalisten, mit denen zusammenzuarbeiten ich das große Glück hatte und die mir genau dabei geholfen haben: nämlich etwas zu finden, daß ich selbst so zuvor nicht für möglich gehalten hätte und vielleicht nicht einmal denken konnte: Allen voran danke ich den Mitgliedern des Ensemble Moderns. Sie werden es gleich mit einigen Sätzen aus meiner Oper „Landschaft mit entfernten Verwandten“ hören - mit Texten von Gertrude Stein, Giordano Bruno, Nicholas Poussin. Sie wissen es sicher hier im Kaisersaal, daß Giordano Bruno sich auf der Flucht vor der Inquisition auch in Frankfurt aufgehalten hat, aber er legte sich mit den Stadtoberen an und wurde 1591 auswiesen. Auf der Buchmesse erreichte ihn damals eine Einladung aus Venedig, die er wenig später angenommen hat und die ihn letztlich der Inquisition auslieferte - hätte er doch nur in Frankfurt bleiben können.... Der Deutsche Kammerchor wird gleich Texte von Giordano Bruno singen – Texte aus dem „Zwiegespräch über das Unendliche, das Universum und die Welten“, in dem Bruno nicht nur die Erde, sondern - weit über Kopernikus hinausweisend – auch die Sonne aus dem Zentrum verdrängt und sein Bild von der Dezentralisierung und Unendlichkeit des Weltalls argumentativ entwickelt. Für die Ängstlichen und Konservativen unter seinen Zeitgenossen stellt er dabei rhetorisch die besorgte Frage „Ove e dunque - Wo bleibt dann unsere schöne Ordnung, diese schöne Stufenleiter der Natur, auf der man emporsteigt vom dichtesten und solidesten Stoff, der Erde, zum weniger dichten, dem Wasser, zum feinen, zum feineren, zum feinsten?“. Und darauf antwortet er wenig später selbst (auch wenn wir das heute nicht hören, weil es erst im letzten Akt vorkommt): „Ich leugne nicht die Unterscheidung, aber ich leugne diese Rangfolge“ - ranking würde man das heute wohl nennen. Ich möchte noch einen Moment bei diesem Satz bleiben: „Ich leugne nicht die Unterscheidung, aber ich leugne diese Rangfolge.“ Denn vielleicht ist in diesem Satz doch so etwas wie ein Motto versteckt, das dafür verantwortlich ist, daß das Kuratorium in seiner Begründung für den Preis von der „Vernetzung der medialen Sphären“ spricht, die sich in meinen Arbeiten findet. Das klingt ‚spaciger’ als es ist. Aber auch im theatralen Raum hat dieser Satz dramatische Konsequenzen - wenn auch weit weniger als im Weltall. Ich glaube mich hat der Satz deswegen so beschäftigt, weil es - zunächst heruntergebrochen auf die Ästhetik - meinen Umgang mit den Dingen vielleicht ein bißchen charakterisiert: „Ich leugne nicht die Unterscheidung, aber ich leugne diese Rangfolge“ - auch schon bei meiner Hörspielarbeit, wenn ich Geräusche, Texte, Musik mit der gleichen Aufmerksamkeit und Bedeutung versuche in eine Balance zu bringen, und sie nicht nach den Hierarchien und Prioritäten der klassischen Genres einzuordnen, in denen eben ein Geräusch nur Illustration und Symbol ist und nicht Klang, Tonhöhe, Rhythmus und Material. „Ich leugne auch nicht die Unterscheidung, nur die Rangfolge“, wenn ich entscheiden müsste, ob es die Regentropfen, oder das italienische Konzert von Bach oder das Licht oder die Stimme von Claude Levi Strauss sind, die mich in „Stifters Dinge“ selbst nach inzwischen über 80 Vorstellungen immer noch bezaubern. Vielleicht ist es gerade die schwebende Unentschiedenheit, die eine stets wechselnde Aufmerksamkeit möglich macht. Das ist es im übrigen auch, was mich bei Adalbert Stifter so interessiert hat: daß dieser so ganz und gar nicht biedermeierliche Autor der Schilderung eines Wassertropfens im Gewitterregen auf dem Fenster eines Pfarrhauses mindestens soviel Aufmerksamkeit widmet wie vorher dem Gespräch der Protagonisten. Und: mit welchem Respekt er in der Erzählung „Katzensilber“ ein fremdes, braunes Mädchen schildert, das es aus den Bergen in ein böhmisches Bauerndorf verschlagen hat und das dahin wieder genau so unbekannt verschwindet - just in dem Moment, als die Familie ihr erfolgreich Reden, Lesen und Schreiben beigebracht und es zu allererst einmal in Mädchenkleider gesteckt hat. Das Fremde, das Andere wird hier vom Autor nicht vereinnahmt und damit letztlich seiner Besonderheit beraubt, sondern genau vor dieser arroganten Perspektive in Schutz genommen, sogar vor der des Lesers, demgegenüber Stifter die Aufklärung über das Mädchen verweigert. „Ich leugne nicht die Unterscheidung, aber ich leugne diese Rangfolge“ heißt eben auch, das Andere / die Andere / den Anderen als anders zu akzeptieren, die Differenzen nicht zu verleugnen und sie aber auch nicht in das eigene Wertesystem einzuordnen. So wird die Dezentraliserung des Universums, die Enthierarchisierung der Elemente bei Giordano Bruno plötzlich nicht nur eine Kategorie, mit der sich die Komplexität des Musiktheaters neu denken läßt - gegen die beharrenden Kräfte der Gravitation, die immer auch in jeder Struktur, jeder Technik und jedem Handwerk stecken - sondern mit der Rückweisung der Rangfolge wird der Satz wird auch zu einer politischen Kategorie, die uns ein anderes Verständnis dessen abverlangt, was wir nicht verstehen. Und vielleicht auch gar nicht verstehen sollen. Und noch etwas: Sie, verehrte Gräfin Douglas, haben vorhin viel prophetische Gabe bewiesen, als Sie sich in ihrer Rede von mir eine Komposition wünschten, in der die Biergläser zum Klingen gebracht werden. Denn falls man aus solchen Schalen, wie sie das Ensemble Modern gleich in Schwingungen versetzt – den asiatischen temple bowls - auch Bier trinken kann, dann sollte Ihr Wunsch gleich in Erfüllung gehen. Vielen Dank

on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)