1 November 2022, Max Nyfeller, MusikTexte
Review (de)

Heiner Goebbels’ Klangarchäologie

Ausgewählte Scheiben neuer Musik

Heiner Goebbels hat sein Archiv durchforstet und fördert mit der zwei CDs füllenden Stückfolge „A House of Calls“ einen Reichtum an verschollenen, von der Zeit überrollten Klängen zutage; das technische Gedächtnis der Apparate und persönliche Erinnerungen des Komponisten verschmelzen dabei zur ästhetischen Ganzheit. Wenn hinter den mit Geräuschen angereicherten Orchesterklängen, wie aus weiter Ferne, Stimmen aus der Frühzeit der Phonographie hörbar werden, wird man Zeuge einer Archäologie der elektroakustischen Ära. Typisch für Goebbels ist die präzis gestellte Frage nach dem politisch-kulturellen Stellenwert der Originalaufnahmen: polemisch die Verarbeitung von ethnographischen Aufnahmen aus Deutsch-Südwestafrika, berührend der armenische Gesang mit einer Melodie von Komitas. Aus neuerer Zeit ist unter anderem der alte Fahrensmann der DDR-Literatur, Heiner Müller, mit seinem Sisyphos-Text zu hören. In den Kompositionen wird das Verhältnis von Musik und Sprache nach allen Richtungen ausgelotet. Das von Vimbayi Kaziboni dirigierte Ensemble Modern Orchestra und die mit Goebbels’ Musik bestens vertrauten Solisten sind ideale Interpreten. (ECM, 2022)

on: A House of Call (Composition for Orchestra)