23 February 1982, Hartmut Lück, FAZ
Review (de)

Uhu-Scheibe mit Widerhaken

Die Erben vom "Sogenannten linksradikalen Blasorchester"

Das Frankfurter „Sogenannte Linksradikale Blasorchester" hat sich ver-gangenes Jahr aufgelöst, doch einigl Musiker aus dieser Formation arbeiten in anderen Zusammenhängen weiter. Wie das aussehen oder besser gesagt klingen kann, das demonstrieren die Jazzer Christoph Anders, Alfred Harth, und Heiner Goebbels, der Avantgarde- komponist Rolf Riehm sowie als Gäste Paul Lovens vom „Globe Unity Orchestra" und Annemarie Roelofs von der Amsterdamer „Feminist Improvising Group" jetzt auf einer Schallplatte mit dem beziehungsreich-witzigen Titel „Es herrscht Uhu im Land". Wer jedoch jetzt analog zu Hanns Eislers „Die Maschinen" oder dem Linken-Blasorchester-Hit „Tagesschau" neue linke Ohrwürmer zur akustischen Garnierung von Szene-Feten erwartet, dem muß vom Kauf dieser Platte drin-gend abgeraten werden — was nichts anderes bedeutet, als daß man sich diese Schallplatte natürlich unbedingt anhören sollte, anhören im Sinne der Offenheit für eine akustische Totalkunst, die nicht oder nicht allein 'schöne Melodien und fortschrittliche Worte macht, sondern mit Musik verschiedenster Herkunft und Machart, mit Sprache (und dem Sprechvorgang selber), Technik und 0-Ton-Geräuschen Stücke komponiert, zusammenstellt, assoziativ montiert, Widerhaken in die Ohren wirft; scheinbar Abwegiges wird so kenntlich gemacht, daß politischer Hintersinn aufleuchtet. Die Texte, meist eher gesprochen als gesungen und zuweilen preziös überdreht, stammen von Kurt Schwitters und Ernst Jandl, von Hölderlin („Der Main"), aber auch aus Zeitungsmeldungen und autobiografischen Aufzeichnungen der Musiker. Teils deftige, teils dadaistische Titel wie „Wertkauf", „Mahlzeit!" oder „Ehorn-Uhu", „Gei-gengesänge", „Riesel-riesel" korrespondieren mit einem kunterbunten Instru-mentarium zwischen Englischhorn. Synthesizer und Singender Säge, eine „Welt voll Irrsinn" (Schwitters), aber auch eine Welt voller Bedrohung, wo durch nervende Musik hindurch ein monotoner Sprecher uns die Realität des Bürgerkrieges in El Salvador immer näher bringt. Jux und Ernst, Geräusch und Musik, Klamauk und abruptes Verstummen, das alles unmittelbar nebeneinander; die Platte Ist nirgends „einzuordnen", ist, widerborstig und widersprüchlich, keine Konsum-scheibe, wohl aber ein rundes Hörver-gnügen.




on: Es herrscht Uhu im Land (LP)