4 November 2004, Erika Wittwer, Züritipp
Interview (de)

CANETTIS BLICK

Der deutsche Musiker, Komponist und Regisseur Heiner Goebbels präsentiert mit "Eraritjaritjaka" seinen dritten Versuch über die Menschen und die Welt. Mit Texten von Elias Canetti und den Streichern des Mondriaan Kwartets. Deutsch untertitelt.

"Eraritjaritjaka" ist der dritte Teil einer Trilogie. Ist dieser Theaterabend so etwas wie die Summe der drei Teile?

HEINER GOEBBELS: "Ich glaube nicht an Summen. Ich stelle eher Fragen. Möglicherweise wird es ja noch einen vierten und fünften Teil geben. Das Gemeinsame der drei Teile ist der Versuch über die Beschäftigung des Subjekts mit der Welt. Im ersten Teil ging es um die Auseinandersetzung mit der Fremde. Der zweite war ein Ausflug in die Wissenschaft. Der dritte Teil über die Menschen und ihr Verhältnis untereinander beruht auf Texten von Elias Canetti, ist ganz seinem Blick überlassen."

Canetti französisch. Ergibt sich daraus eine neue, andere Lesart?

HEINER GOEBBELS: "Die Sprachwahl hat zunächst pragmatische Gründe. Ich arbeite mit dem französischen Schauspieler André Wilms, und die Inszenierung war in der französischen Schweiz. Doch hatte Canetti auch auf das Deutsche einen fremden Blick. Er schreibt es fast gegen die Grammatik. Vielleicht ergibt sich in Zürich ein zusätzlicher Gewinn, indem in den Untertiteln die gelesene Sprache erscheint, und die gesprochene Sprache als etwas Fremdes, Neues wahrgenommen werden kann."

Ein neuer Blick?

HEINER GOEBBELS: "Canetti würde sicher sagen, dass jeder Abstand gut tut. Das mache ich in meiner Arbeit zum Thema. Abstand, um das Publikum zu motivieren. Die Bühne wird vom Publikum besetzt, weil es nie genau das sieht, was es erwartet."

In welcher Beziehung steht die Musik zu den Texten?

HEINER GOEBBELS: "Sie bleiben sich trotz aller Nähe fremd. Das Vermischen der Disziplinen war Ca-netti fremd. Musik hat die Rolle, den Platz zwischen den Worten offen zu halten. Sie schafft Zeit und Raum und lädt das Publikum in diese ein. Eraritjaritjaka ist ein Wort aus einer Aborigines-Sprache und bedeutet 'Voller Verlangen nach etwas, das verloren gegangen ist'. Canetti muss das Wort auf Grund des Klangs und des Rhythmus übernommen haben."

"Eraritjaritjaka" basiert auf dem Roman "Die Blendung" und dem Buch "Masse und Macht", vor allem aber auf den "Aufzeichnungen", welche der Schriftsteller während der Arbeit an diesen machte. Weshalb?

HEINER GOEBBELS: "Was ich daran schätze, ist ihre Offenheit. Ich habe während fünf, sechs Jahren in den "Aufzeichnungen gelesen, und es war immer wieder ein anderes Vergnügen. Es waren Angebote. Das interessiert mich für meine Theaterarbeit immer mehr als fertige Dialoge."

on: Eraritjaritjaka (Music Theatre)