29 October 2007, Wolfgang Sandner, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Review (de)

Geräusche, seltsam, nie vernommen

Vor zehn Jahren hat der Komponist Heiner Goebbels erklärt, was ihm an den Bühnenkünsten missfällt: Hierarchisierung. Was er sich stattdessen wünschte, erfuhr man ebenfalls: Kollision, am besten frontal, mit größtmöglichem Aufprall. Kein Gesamtkunstwerk also, bei dem die einzelnen Gattungen in einer Kunst höherer Ordnung aufgehen, vielmehr ein ständiges Zusammenstoßen von Texten, Klängen, Licht, Farbe, Geräuschen, Bewegung, Gegenständen, ein immerwährender Wechsel von Inszenieren und Komponieren, Redefluss und Schweigen, Tempo und Innehalten. Alles sollte präsent und wichtig sein, sich gegenseitig inspirieren oder abstoßen. Das hat bisweilen zu aufregend neuen Bühnenereignissen geführt, für die die Begriffe noch fehlten. Goebbels wurde auch da schöpferisch. Sein voriges Stück „Eraritjaritjaka“ nannte er „Museum für Sätze“. Sein neues Werk „Stifters Dinge“, im September im experimentierfreudigen Théâtre Vidy-Lausanne uraufgeführt, danach in Berlin und Luxemburg zu sehen und mittlerweile im Bockenheimer Depot gelandet, ist ebenso ungewöhnlich: eine „performative Installation“, das heißt ein Klavierstück ohne Pianisten, ein Theaterstück ohne Schauspieler, eine Performance ohne Performer, eine No-Man-Show. Töne und Bilder werden Darsteller Goebbels wollte dabei die Aufmerksamkeit des Publikums auf das lenken, was im Theater oft nur Requisite oder Dekor darstellt, jedenfalls nur illustrativ wirken soll. Es ist ihm in einer frappierenden Weise gelungen. Denn das Fehlen von Personen belebt die Szenerie wie die Dinge in ungeahnter Weise. Die Klaviere nehmen selbst die Rollen der Spieler an, die Mechanik wird zum Regisseur, die Töne und Bilder werden zu Darstellern eines kryptischen Geschehens. Das muss man beschreiben: Goebbels hat eine Art Musikautomat aus fünf ineinander verschachtelten Klavieren geschaffen, die durch aufwendige Apparaturen ungewöhnliche Klänge und Geräusche von sich geben. Vor dem Klavieraufbau, der auf Schienen vor und zurück gefahren werden kann, befinden sich drei voneinander abgeteilte, rechteckige Felder, in die Schläuche von drei seitlich postierten Plastikbehältern führen. Eine Reihe abenteuerlicher Geräusch- und Klangerzeuger komplettiert die Szene. Zwei Bühnenarbeiter verteilen mit einem großen Sieb ein weißes Pulver auf die Flächen vor der Installation, wodurch mit entsprechender Beleuchtung so etwas wie eine Schneelandschaft entsteht. Dann wird Wasser aus den Behältern in die Flächen geleitet und verwandelt diesen Teil der Szene in ein düsteres Moor, wobei der Eindruck noch verstärkt wird durch die Projektion des Sumpfgemäldes van Ruisdaels aus der Petersburger Eremitage. Zaubergarten aus Urwaldgekröse Unmöglich, all die Geräusche, Töne und Klänge, die Lichteffekte und Impulse aufzuzählen, die sich in einer guten Stunde ereignen und mit gesprochenen Texten von Adalbert Stifter, Claude Lévi-Strauss, William S. Borroughs sowie Musik von Johann Sebastian Bach und Beschwörungsformeln aus Papua-Neuguinea ergänzt oder überlagert werden: ein Zaubergarten aus Urwaldgekröse. Man ist fasziniert von diesen nie so gehörten, vor allem nie so aufeinander bezogenen Klangsignalen, wenn etwa der wie aleatorisch herabtropfende Regen den tropfenden Klaviertönen aus dem zweiten Satz des Italienischen Konzerts BWV 971 von Bach nahezu surrealistischen Charakter verleiht. Und Stifter? Goebbels wollte sein Werk zunächst schlicht „The Piano Piece“ nennen, war dann aber offensichtlich so beeindruckt von der minutiösen Naturbeschreibung des Dichters, die in vielen Passagen so ungemein musikalisch-sinnlich wirkt, dass sie nicht lediglich als objet trouvé Verwendung fand, sondern zur Basis des Konzepts wurde. Und auch das hat Goebbels gespürt: Die einsamen Landschaften, die kargen, altertümlichen Sätze, im Grunde die Verweigerung von Aktualität zu seiner Zeit lassen Stifter für uns heute so modern erscheinen. Bis zum 3. November ist die installierte Aufführung vom schauspielfrankfurt im Bockenheimer Depot noch zu sehen.

on: Stifters Dinge (Music Theatre)