11.10.2007 Nr. 42, Claus Spahn, Die Zeit
Review (de)

Ein Lied in allen Dingen

Heiner Goebbels und seine Klanginstallation »Stifters Dinge« beim Berliner Festival Spielzeit Europa

Was bleibt eigentlich vom Theater, wenn man sich den Menschen darin wegdenkt? Wenn die lärmende und schwitzende, immerzu ins Scheinwerferlicht drängende und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehende Meute der Darsteller samt den Einfällen ihrer Regisseure in der Garderobe bleibt und das leere Bühnengehäuse im Dämmerlicht vor sich hin schweigt? Dann hat die Theatermaschinerie ihren großen Auftritt, und die Kulisse beginnt, mit sich selbst zu spielen. Dann füllt sich der Bühnenboden mit Wasser, und auf seiner spiegelnden Oberfläche schreiben sich oszillierende Lichtzeichen in den Raum. Prospektzüge fahren wie von Geisterhand gesteuert auf und nieder. Ein Diaprojektor kramt in seinem Gedächtnis und erinnert sich an Jakob van Ruisdaels Gemälde Sumpf und an die Jagd bei Nacht von Paolo Uccello. Die Lautsprecher wispern Zitatschnipsel aus Interviewmitschnitten, ethnologischen Musikaufnahmen und Rezitationen von Adalbert-Stifter-Texten, während im Hintergrund ein geheimnisvolles Felsmassiv rumort: fünf quer und hochkant verkeilte Klaviere, die zirpende, ratternde, stotternde Selbstgespräche führen. Es ist ein merkwürdiger Theaterabend, der da im Haus der Berliner Festspiele in achtzig Minuten bedächtig vorüberzieht. Er zelebriert die Abwesenheit von allem Wichtigen. Er umkreist ein leeres Zentrum und erklärt den Rand zur Mitte. So ist es oft in den Bühnenstücken von Heiner Goebbels: Der Komponist, der unter Komponieren ganz im Wortsinne das Zusammensetzen von vielem versteht, hat nicht viel übrig für die Zentralperspektive, sein Blick geht schweifend über das vermeintlich Beiläufige und Ephemere. Der Musiker, der einst im Frankfurter Linksradikalen Blasorchester aktiv war, will keine Machtzentren auf der Bühne errichten. Er hegt Skepsis gegenüber allen sich demiurgisch gebärdenden Theatermachern, ihrem Regie-Aktionismus und der Bilderflut, die sie auf den Zuschauer niedergehen lassen. Goebbels’ Theaterkonzepte leben von der Offenheit der Räume und dem offenen Ausgang szenischer Suchbewegungen. Aus dem improvisierten und nicht selten zufälligen Zusammenwirken von Divergentem erwachsen bei ihm die künstlerischen Kräfte. In seinem neuen Stück Stifters Dinge hat er deshalb den romantischen Dichter Adalbert Stifter für sich entdeckt. Auch er widmet sich auf seinen literarischen Streifzügen hingebungsvoll den Erscheinungen am Rande des Geschehens, vertieft sich in sie und bringt sie in ausführlichen Detailbeschreibungen zum Sprechen. Stifters Hingabe für den Gegenstand und seine Bedächtigkeit in der Betrachtung haben Goebbels fasziniert. Der von ihm zitierte Stifter-Satz »Wir harreten und schauten hin, ich weiß nicht, war es Bewunderung oder Furcht, in das Ding hinein zu fahren« klingt wie das geheime Programm zu seiner Klanginstallation. Liebevoll hat der Profi des elektronischen Sampelns dieses Mal seine Musikapparatur von Hand zusammengebastelt. Tote Äste ragen aus dem Klaviergekröse. Es zischt Dampf aus den Ritzen hervor, und man sieht, wie bei der Klangerzeugung Klöppelmechanismen ausgelöst werden, Gelenkarme arbeiten, Zahnräder vor- und zurückschnurren. Einmal erklingt traumverloren das Adagio aus Bachs Italienischem Konzert, während in einem vernuschelten Interview-O-Ton der Ethnologe Claude Lévi-Strauss erklärt, dass ihm jegliches Vertrauen in den Menschen abhandengekommen sei. Einmal fährt die Maschine ganz nahe an die Zuschauertribüne heran und wirft sich gleichsam primadonnenhaft in Pose, indem sie rauscht und rattert, was die Klaviersaiten hergeben. Dann zieht sie sich wieder zurück, und der Zuschauer blickt auf eine Miniatursumpflandschaft, aus der kleine Blubberblasen aufsteigen, zerplatzen und als herbstliche Nebelschwaden über der Wasseroberfläche wabern. Sehr romantisch, das Ganze. Als hätte Heiner Goebbels bei seiner Klang-Raum-Installation neben Stifter immer auch an Eichendorff gedacht: »Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort...«

on: Stifters Dinge (Music Theatre)