8 October 2007, Jörg Königsdorf, Süddeutsche Zeitung
Review (de)

Kahles Geäst

Heiner Goebbels erforscht in Berlin "Stifters Dinge"

So kühn war selbst Heiner Goebbels, Deutschlands unkonventionellster Theatermacher, bisher noch nie: Ganz ohne Darsteller und ohne Handlung wollte er in seinem neuen Stück "Stifters Dinge" auskommen. Jenen ureignen Impuls des Theaters, Geschichten zu erzählen, einfach ignorieren und durch Abwerfen dieses Ballasts in eine Region aufsteigen, die vielleicht eine ganz andere Sicht der Welt ermöglichen könnte. Abgesehen von zwei Bühnenarbeitern, die diskret die nötigen Handreichungen vornehmen, bleibt die Bühne im Haus der Berliner Festspiele denn auch den ganzen Abend über unbelebt - aber dennoch nicht leer. Eine Installation aus fünf über- und nebeneinander montierten Klavieren, die dem Publikum ihre bloßgelegte Mechanik zeigen wie ein Rudel Raubtiere Zähne und Klauen, ragt im Hintergrund auf und schiebt sich auf einer Schiene über drei flache Bassins langsam vor und zurück. Eine Dampfmaschine der Klänge, die manchmal nur Gerassel und Gedröhn, einmal jedoch auch als quasi naturgeborenen Gesang den langsamen Satz aus Bachs Italienischem Konzert von sich gibt. Dazu tönen, weil das Stück zwar ohne Darsteller, aber eben doch nicht ohne sinnstiftende Sprache auskommen kann, per Lautsprecher: Ein Interview mit dem französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss, ein paar englische und italienische Sprachfetzen, ein bisschen fröhliches Fellachengemecker und als Schlüssel zum Verständnis des Ganzen eine Passage aus Adalbert Stifters "Mappe meines Urgroßvaters", in der der österreichische Biedermeierdichter akribisch das Eigenleben eines verschneiten Waldes beschreibt. Eine imposante Materialcollage, die freilich eher verkopft wirkt, als einen Freiraum sinnlicher Anschauung zu eröffnen. Wenn die Bühnenarbeiter weißes Pulver über die Bassins sieben, wenn kahles Geäst und angeleuchtete Stoffbahnen Stifters liebevoll-feinsinnige Naturbetrachtungen illustrieren, sieht das oft nach einem Weihnachtsmärchen für Intellektuelle aus. Goebbels' bemühte Bebilderungen erinnern so unfreiwillig daran, dass gerade die Abwesenheit alles menschlichen Wirkens für Stifter die Anziehungskraft der Natur ausmachte. Das aber im Kunstmedium Theater nacherlebbar zu machen, dürfte ein vergebliches Unterfangen sein. JÖRG KÖNIGSDORF

on: Stifters Dinge (Music Theatre)