23 September 2013, Ulrike Gondorf, swr.de
Review (de)

Theater ohne Menschen

über die Musik-Performance "Stifters Dinge" von Heiner Goebbels während der Ruhrtriennale

Der biedermeierliche Dichter Adalbert Stifter und eine 170 m lange alte Industriehalle umgeben von Hochöfen. Dieser Kontrast reizte den Komponisten und Theatermacher Heiner Goebbels, seine Performance "Stifters Dinge" in einer ehemaligen Eisenhütte in Duisburg einzurichten beim Festival Ruhrtriennale, das er zur Zeit in einem dreijährigen Turnus leitet als Intendant. Es beginnt, während es noch hell ist, über der Zuschauertribüne an einem Ende der riesigen Halle. Wie eine kleine Insel liegt darin die Spielfläche, von zerstäubtem Wasserdampf leicht vernebelt. Rhythmische Geräusche klingen durch den Raum wie eine ferne Erinnerung an den Arbeitslärm, der ihn einmal erfüllt hat: Klopfen, Zischen, Rascheln. Zwei Bühnenarbeiter legen noch letzte Hand an, streuen ein körniges weißes Pulver auf ein durchlöchertes Brett und sieben weißen Staub auf die ganze Fläche der Bühne. Heiner Goebbels bannt das Publikum schon in den ersten Minuten: Neugier, Schaulust, Aufmerksamkeit auf wenige, konzentrierte Vorgänge fesseln einen an diese Performance, schon bevor sie richtig begonnen hat. Es ist die große Wundermaschine Theater, die in dieser Industriehalle zu arbeiten beginnt, und sie kommt phantastisch auf Touren. Goebbels und sein Bühnenbildner Klaus Grünberg setzen die Bühne unter Wasser und lassen wabernde Nebelschwaden darüber kriechen, Regen aus der Decke tropfen. Eine ausgefeilte, aber immer sparsame Lichtregie schafft magische, dunkel glühende Bilder. Die Bühnenarbeiter haben sich längst zurückgezogen, Akteure sind jetzt fünf Klaviere, die übereinandergestapelt die Rückwand der Bühne bilden. Die Mechanik ist freigelegt und präpariert, komplizierte Apparaturen greifen in die Saiten und erzeugen dort Klänge; zwei Instrumente spielen automatisch und Tasten und Hämmerchen bewegen sich wie von Geisterhand. Es ist ein Theater ohne Menschen, belebt von der Dynamik der Musik und den Bildern, die Licht und Projektion dazu schaffen, spannend, weil man nie weiß was als nächstes geschieht – und vor allem wie es geschieht; faszinierend durch die Einblicke in das Innenleben der Maschinen, die zu Charakteren eigener Art zu werden scheinen. Durchaus auch witzig im Wechselspiel von Erwartungen und Überraschungen. Die Akteure sitzen hier im Publikum, die Wahrnehmung jedes einzelnen Zuschauers wird zum Thema des Stücks, das er sieht. Was hat das alles mit Adalbert Stifter zu tun? Erstaunlich viel, denn Goebbels macht sich hier den Blick des Dichters auf die Welt zu eigen. Seine Genauigkeit, seinen Respekt, sein Staunen vor dem Fremden; auch die latente Unheimlichkeit, die plötzlich unter scheinbar vertrauten Oberflächen lauern kann. Der zentrale Text, den ein Lautsprecher am Bühnenrand ins Geschehen sendet, ist denn auch von Stifter: die Schilderung eines Eisregens im Wald. Weitere Einspielungen bringen Stimmen der Ureinwohner von Papua Neuguinea und andere Zeugnisse und Reflexionen über das Fremde ins Spiel – ein Thema, das Heiner Goebbels als roten Faden durch "Stifters Dinge" zieht. In der Kraftzentrale der Duisburger Eisenhütte gewinnt die Performance noch ein zusätzliche Dimension: sie bringt zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Maschinen, das sich genau in dem Moment herausbildet, als Adalbert Stifter seine eiskalt, präzisen, nur vermeintlich biedermeierlich harmlosen Texte geschrieben hat.

on: Stifters Dinge (Music Theatre)