Theater ohne Menschen
über die Musik-Performance "Stifters Dinge" von Heiner Goebbels während der Ruhrtriennale
Der biedermeierliche Dichter Adalbert Stifter und eine 170 m lange alte Industriehalle umgeben von Hochöfen.
Dieser Kontrast reizte den Komponisten und Theatermacher Heiner Goebbels, seine Performance "Stifters
Dinge" in einer ehemaligen Eisenhütte in Duisburg einzurichten beim Festival Ruhrtriennale, das er zur Zeit in
einem dreijährigen Turnus leitet als Intendant.
Es beginnt, während es noch hell ist, über der Zuschauertribüne an einem Ende der riesigen Halle. Wie eine
kleine Insel liegt darin die Spielfläche, von zerstäubtem Wasserdampf leicht vernebelt. Rhythmische Geräusche
klingen durch den Raum wie eine ferne Erinnerung an den Arbeitslärm, der ihn einmal erfüllt hat: Klopfen,
Zischen, Rascheln. Zwei Bühnenarbeiter legen noch letzte Hand an, streuen ein körniges weißes Pulver auf ein
durchlöchertes Brett und sieben weißen Staub auf die ganze Fläche der Bühne.
Heiner Goebbels bannt das Publikum schon in den ersten Minuten: Neugier, Schaulust, Aufmerksamkeit auf
wenige, konzentrierte Vorgänge fesseln einen an diese Performance, schon bevor sie richtig begonnen hat. Es ist
die große Wundermaschine Theater, die in dieser Industriehalle zu arbeiten beginnt, und sie kommt phantastisch
auf Touren.
Goebbels und sein Bühnenbildner Klaus Grünberg setzen die Bühne unter Wasser und lassen wabernde
Nebelschwaden darüber kriechen, Regen aus der Decke tropfen. Eine ausgefeilte, aber immer sparsame
Lichtregie schafft magische, dunkel glühende Bilder. Die Bühnenarbeiter haben sich längst zurückgezogen,
Akteure sind jetzt fünf Klaviere, die übereinandergestapelt die Rückwand der Bühne bilden. Die Mechanik ist
freigelegt und präpariert, komplizierte Apparaturen greifen in die Saiten und erzeugen dort Klänge; zwei
Instrumente spielen automatisch und Tasten und Hämmerchen bewegen sich wie von Geisterhand.
Es ist ein Theater ohne Menschen, belebt von der Dynamik der Musik und den Bildern, die Licht und Projektion
dazu schaffen, spannend, weil man nie weiß was als nächstes geschieht – und vor allem wie es geschieht;
faszinierend durch die Einblicke in das Innenleben der Maschinen, die zu Charakteren eigener Art zu werden
scheinen. Durchaus auch witzig im Wechselspiel von Erwartungen und Überraschungen. Die Akteure sitzen hier
im Publikum, die Wahrnehmung jedes einzelnen Zuschauers wird zum Thema des Stücks, das er sieht.
Was hat das alles mit Adalbert Stifter zu tun? Erstaunlich viel, denn Goebbels macht sich hier den Blick des
Dichters auf die Welt zu eigen. Seine Genauigkeit, seinen Respekt, sein Staunen vor dem Fremden; auch die
latente Unheimlichkeit, die plötzlich unter scheinbar vertrauten Oberflächen lauern kann. Der zentrale Text, den
ein Lautsprecher am Bühnenrand ins Geschehen sendet, ist denn auch von Stifter: die Schilderung eines
Eisregens im Wald.
Weitere Einspielungen bringen Stimmen der Ureinwohner von Papua Neuguinea und andere Zeugnisse und
Reflexionen über das Fremde ins Spiel – ein Thema, das Heiner Goebbels als roten Faden durch "Stifters Dinge"
zieht. In der Kraftzentrale der Duisburger Eisenhütte gewinnt die Performance noch ein zusätzliche Dimension:
sie bringt zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Maschinen, das sich genau in dem Moment
herausbildet, als Adalbert Stifter seine eiskalt, präzisen, nur vermeintlich biedermeierlich harmlosen Texte
geschrieben hat.
Ulrike Gondorf
swr.de (DE), 23 September 2013